Bundestagswahl in Deutschland:

Bundestagswahl in Deutschland: Die soziale Lage entscheidet mit

Dieser Beitrag wurde in der Woxx vom 28. März 2025 veröffentlicht.

Die deutsche Bundestagswahl Ende Februar hat einen massiven Rechtsruck gebracht; Rechte und Rechtsextreme bilden nun die Mehrheit im Bundestag. Über die Ursachen und Konsequenzen einer richtungsweisenden Wahl.

Ganz so einfach, wie unter Berufung auf Kurt Tucholskys Ausspruch „Wahlen ändern nichts, sonst wären sie verboten“ bisweilen behauptet wird, ist es nicht. Kommunal-, Landtags- und Bundestagswahlen in Deutschland gelten gemeinhin als Rahmen für politische Entscheidungen in Bereichen wie Wirtschafts-, Sozial-, Klima- und Außenpolitik. Deshalb steigt das Interesse an politischen Themen vor Wahlen stark an, so auch vor der Bundestagswahl im Februar 2025. Schließlich entscheidet die Zusammensetzung des Bundestages maßgeblich darüber, welche Regierung und welche Politik möglich werden.

Wahlen allein entscheiden nicht über die soziale Lage der Menschen. Auch die außerparlamentarische Opposition, das heißt soziale Bewegungen, Mobilisierungen und Interessenvertretung im öffentlichen Raum, spielen eine entscheidende Rolle für die durchgesetzte Politik. Nicht zu unterschätzen ist der Einfluss der ökonomisch Mächtigen. Entscheidend sind aber letztlich die gesellschaftlichen Kräfteverhältnisse.

Wie weit die Union der christdemokratischen Parteien von CDU/CSU tatsächlich mit der rechtsextremen „Alternative für Deutschland“ (AfD) paktieren kann und welche Politik eine gemeinsame Regierung von Union und den Sozialdemokraten der SPD letztlich umsetzen wird, hängt daher entscheidend von den künftigen Mobilisierungen in der Gesellschaft ab. Wahlergebnisse sind nicht allein ausschlaggebend, haben aber als Spiegel gesellschaftlicher Stimmungen ihre Bedeutung. Dies gilt auch für die Bundestagswahl 2025.

Mitverantwortliche des Rechtsrucks

Der weltweite Rechtstrend schlug sich auch bei der Bundestagswahl deutlich nieder. Die AfD verdoppelte ihr Wahlergebnis auf 20,8 Prozent der Stimmen und wurde mit 152 Abgeordneten zweitstärkste Kraft im Bundestag. Obwohl viele ein noch besseres Abschneiden der Partei befürchtet hatten, die sich durch die aggressive Rhetorik der AfD-Spitzenkandidatin Alice Weidel und die Unterstützung durch den US-Industriellen und Social-Media-Unternehmer Elon Musk beflügelt fand, ist die extreme Rechte so stark wie seit 1945 nicht mehr.

Die Union aus CDU und CSU erreichte 28,6 Prozent und damit 208 Sitze im Parlament, was einem Zuwachs von 3,6 Prozentpunkten entspricht. Dennoch bleibt sie weit hinter ihren früheren Werten zurück. Mitverantwortlich für das Erstarken der Rechtsextremen ist die CDU, die vor der Wahl durch das parlamentarische Zusammenwirken mit der AfD im Zuge mehrerer migrationspolitischer Abstimmungen ihren Anspruch auf eine stramm rechte Politik unterstrichen hat.

Grüne und SPD, allen voran Bundeskanzler Olaf Scholz, griffen das von der AfD gesetzte Thema „mangelnde Sicherheit durch unkontrollierte Zuwanderung“ auf und präsentierten sich als effiziente Zuwanderungsbegrenzer. Damit bestätigte sich, was durch zahlreiche politikwissenschaftliche Studien längst belegt war: Wer das Original kopiert, stärkt es.

Insgesamt hat die AfD Statistiken zufolge 1.810.000 Nichtwähler*innen mobilisiert. Hinzu kommen 1.010.000 abgeworbene Wähler*innen von der CDU, 890.000 von der liberalen FDP und 720.000 von der SPD. Die Union konnte 1.760.000 Wähler*innen von der SPD, 1.350.000 Wähler*innen von der FDP, 900.000 bisherige Nichtwähler*innen und 460.000 Wähler*innen von den Grünen für sich gewinnen.

Auch durch diese Wähler*innen-Wanderung wird unterstrichen: Die Mehrheit im Bundestag ist rechts und rechtsextrem. Union und AfD kommen zusammen auf 49,3 Prozent der Stimmen und stellen mit 360 Abgeordneten mehr als die Hälfte des Bundestages.

Ampelparteien werden abgestraft

Die Regierungsparteien der bisherigen Ampelkoalition – SPD, Grüne und FDP – wurden für ihre Politik, die die Lebenssituation vieler Menschen verschlechtert hat, deutlich abgestraft. Sie verloren über 20 Prozent der Stimmen und mehr als die Hälfte ihrer 416 Mandate und stellen mit 205 Sitzen nur noch knapp ein Drittel des Bundestages, wobei die FDP sogar an der Fünf-Prozent-Hürde scheiterte. Für die SPD ist es das schlechteste Ergebnis seit dem Zweiten Weltkrieg, während die Grünen nur knapp ein einstelliges Ergebnis vermeiden konnten.

Das Wahlergebnis bestätigt hier einen zweiten empirischen Befund: Wer Regierungsverantwortung trägt, während immer mehr Menschen die Folgen der Wirtschaftskrise zu spüren bekommen, bekommt das zu spüren. In diesem Fall zu Gunsten der (extrem) rechten und linken Opposition.

„Die Linke“ hat bei der Bundestagswahl mit 8,8 Prozent (+3,9) und damit 64 Sitzen im Parlament ein starkes Ergebnis erzielt, obwohl ihre Chancen, die Fünf-Prozent-Hürde zu überspringen, drei Wochen vor der Wahl noch als gering eingeschätzt worden waren. Im Osten erreichte sie 12,9 Prozent, im Westen 7,9 Prozent. Nach der Trennung von Sahra Wagenknecht und ihren Anhänger*innen im Oktober 2023 hat die Partei vieles richtig gemacht und vor allem bei den Jüngeren stark an Zustimmung gewonnen. Die Mitgliederzahl verdoppelte sich von 50.000 auf 110.000.

Die klare Abgrenzung nach rechts, das scharfe Anprangern des Schulterschlusses der Union mit der AfD, der Kampf gegen Rassismus und Faschismus sowie das Aufgreifen sozialer Themen wie Mieten, Lebenshaltungskosten und soziale Sicherheit gehören zu den Dingen, die Die Linke gemeinsam mit den Neumitgliedern richtig gemacht hat. Ein intensiver Haustürwahlkampf, bei dem in 600.000 Haushalten die Sorgen der Menschen abgefragt wurden, sowie die geschickte Nutzung der sozialen Medien trugen zum spektakulären Aufschwung bei. Auch eine geordnete innerparteiliche Diskussion und ein geschlossenes Auftreten der Partei war sicher förderlich.

Bei den 18- bis 24-jährigen Wähler*innen wurde die Linke mit 25 Prozent stärkste Partei und erzielte bei den Erstwähler*innen sogar 27 Prozent. Bei den 25- bis 34-Jährigen wurde sie mit 16 Prozent zweitstärkste Partei hinter der AfD. Die größten Zuwächse kamen von Wähler*innen der Grünen (700.000) und der SPD (560.000), während sie Wähler*innen an das „Bündnis Sahra Wagenknecht“ (BSW; 350.000) und die AfD (110.000) verlor.

Damit bestätigt sich ein dritter Befund: Linke Politik, die antifaschistische Solidarität und die soziale Lage der Menschen in den Mittelpunkt stellt, wird auch elektoral von (vor allem jungen) Menschen getragen.

Die BSW scheiterte mit 4,972 Prozent nur knapp an der Fünf-Prozent-Hürde; Parteien, die sich rechten Argumentationsmustern anpassen, stärken das (rechte) Original und können dabei selbst scheitern. Hätte die BSW den Sprung ins Parlament geschafft, wäre eine Regierungsmehrheit aus Union und SPD nicht mehr möglich gewesen und ein Dreierbündnis beispielsweise aus Union, SPD und Grünen notwendig geworden.

Einkommensabhängige Wahlbeteiligung

Von den rund 60,5 Millionen Wahlberechtigten gaben 49,6 Millionen eine gültige Stimme ab, was einer Wahlbeteiligung von 82,5 Prozent entspricht – ein Plus von 6,2 Prozent gegenüber der Bundestagswahl 2021, aber immer noch deutlich unter den über 90 Prozent der 1970er-Jahre.

Die Wahlbeteiligung ist jedoch sehr ungleich verteilt: In ärmeren Wahlkreisen ist sie niedriger. Eine Studie der „Friedrich-Ebert-Stiftung“ zur Bundestagswahl 2021 zeigt, dass die Wahrscheinlichkeit, nicht zur Wahl zu gehen, „bei Menschen mit niedrigem Einkommen und geringer formaler Bildung besonders hoch“ ist. Dies dürfte sich auch bei der Bundestagswahl 2025 bestätigen. Auch bei der Bürgerschaftswahl in Hamburg am 2. März 2025 schwankte die Wahlbeteiligung je nach Bezirk zwischen 47,1 und 83,3 Prozent, wobei die Stadtteile mit der niedrigsten Wahlbeteiligung auch diejenigen mit den niedrigsten Einkommen waren.

Wohlhabendere Menschen wählen nicht nur häufiger, sondern auch anders, was zu einer Verschiebung zugunsten wohlhabender Interessen führt. Von den Wähler*innen mit „schlechter wirtschaftlicher Lage“ wählten 39 Prozent die AfD, 17 Prozent die Union, zwölf Prozent die SPD, elf Prozent die Linke und sechs Prozent die Grünen. Mehr als die Hälfte der Wähler*innen gibt an, große Sorgen zu haben, ihre Rechnungen nicht mehr bezahlen zu können. Bei den Wähler*innen der AfD sind es 75 Prozent, der Linken 60 Prozent, der Union 46 Prozent, der SPD 43 Prozent und der Grünen 28 Prozent.

Zusätzlich zu den Nichtwähler*innen gibt es viele Menschen, die nicht wahlberechtigt sind, darunter Jugendliche unter 18 Jahren und 12,1 Millionen Ausländer*innen und Staatenlose. Die geringe Wahlbeteiligung ärmerer Menschen und der Ausschluss großer Teile der Bevölkerung stellen ein erhebliches Demokratiedefizit dar. Eine Änderung dieser Umstände würde das Wahlergebnis erheblich beeinflussen.

AfD, die neue Arbeiterpartei?

Die traditionellen Parteien sind geschwächt und ihre Wählerschaft verändert sich. Während die Union vor allem ältere Wähler*innen anspricht, gewinnt die AfD bei den 25- bis 44-Jährigen an Zustimmung. Die SPD erhält nur zwölf Prozent der Stimmen von Arbeiter*innen und 13 Prozent von Arbeitslosen, während 38 Prozent der Arbeiter*innen und 34 Prozent der Arbeitslosen die AfD wählen. Jedoch sind nur noch elf Prozent der Erwerbstätigen in Deutschland (fünf Millionen) Arbeiter*innen; die Mehrheit sind Angestellte. Unter ihnen ist die Union mit 26 Prozent der Stimmen die stärkste Partei, gefolgt von der AfD mit 21 Prozent und der SPD mit 15 Prozent. Viele Arbeiter*innen sind wahrscheinlich nicht wahlberechtigt, da sie ausländische Staatsangehörige sind.

Werden die soziologisch fragwürdigen Kategorien von Arbeiter*innen und Angestellten als Lohnabhängige zusammengefasst betrachtet, führt die Union mit 25,5 Prozent, gefolgt von der AfD mit 23,3 Prozent und der SPD mit 14,6 Prozent.

Mehr als die Hälfte der Lohnabhängigen wählt rechte Parteien, ein Drittel wählt SPD, Linke oder Grüne. Viele Menschen, vor allem finanziell schlechter gestellte Wähler*innen, wählen die AfD nicht nur aus Protest (39 Prozent ihrer Wähler*innen), sondern auch aus Zustimmung zu ihrem Programm (54 Prozent), auch wegen ihrer rassistischen und nationalistischen Ausgrenzungspolitik.

Die AfD verbreitet den Mythos der „Partei der kleinen Leute“ und ihres unaufhaltsamen Aufstiegs. Ihr künftiger Erfolg hängt davon ab, ob sich die soziale Lage vieler Menschen verschlechtert oder verbessert und ob solidarisches Handeln weiter zurückgedrängt wird oder sich durchsetzt. Dass der Aufstieg der AfD nicht unaufhaltsam ist, zeigt das Erstarken einer linken Alternative vor allem unter Jugendlichen. Immerhin stimmen 80 Prozent der Wähler*innen nicht für die AfD, auch wenn diese je nach Region und sozialer Lage ein Anziehungspunkt für Menschen in prekären Lebenslagen ist.

Kurzer Ausblick

Keine zwei Wochen nach der Wahl machten CDU und CSU eine Kehrtwende bei einer ihrer zentralen Wahlkampfaussagen: Die „Schuldenbremse“ soll nun doch gelockert werden, aber nicht, wie es richtig wäre, zugunsten von Investitionen in die Sozialpolitik (Bildung, Gesundheit, Integration, …), sondern für unbegrenzte Aufrüstung und Militarisierung. Für dringende Investitionen in die Infrastruktur wird ein sogenannter „Sonderfonds“ (eigentlich Sonderschulden) eingerichtet, der aus dem normalen Haushalt getilgt wird. Die Ausgabenkürzungen in sozialen Bereichen (Bürgergeld, Eingliederung, …) werden beibehalten, Milliardäre und Übergewinne nicht zusätzlich besteuert, die Ausgrenzung und Abschiebung von Migrant*innen verstärkt. So werden weder der Aufstieg der AfD noch der Klimawandel gestoppt, soziale Ungleichheiten nicht abgebaut, sondern verstärkt.

Dies ist eine große Herausforderung für alle progressiven Kräfte, für die sozialen Bewegungen und auch für die Gewerkschaften. Die Linke arbeitet daran, ihr Organisationskonzept zu präzisieren, insbesondere im Hinblick auf die Integration neuer Mitglieder und ihre politische Ausrichtung. Konzepte wie die „antifaschistische Wirtschaftspolitik“ der Ökonomin Isabella M. Weber und die „ökosozialistische Transformation“ von Michael Löwy bieten wichtige Ansätze für eine tiefgreifende gesellschaftliche Transformation – von Veränderungen im Hier und Jetzt hin zu einem „System Change“. Dies wird derzeit in vielen wissenschaftlichen, gesellschaftlichen und politischen Kreisen intensiv diskutiert. Die praktischen Schlussfolgerungen daraus werden entscheidend dafür sein, wie sich die soziale Lage und die Gesellschaft in Deutschland und darüber hinaus in den nächsten Jahren entwickeln werden.

Randbemerkung in der Woxx: Der Ausgang der Bundestagswahl am 23. Februar 2025 hat Auswirkungen weit über Deutschland hinaus. Ein Grund mehr, vier Wochen nach der Wahl einen Blick zurück zu werfen. Der vorliegende Beitrag ist eine gekürzte Fassung der Bewertung des Wahlergebnisses durch Justin Turpel, der seit acht Jahren überwiegend in Hamburg lebt, dort Sozial- und Wirtschaftswissenschaften studiert und gelegentlich für die woxx schreibt. Der vollständige Beitrag unseres Autors mit dem Titel „Bundestagswahl: Die wichtigsten Erkenntnisse und der Blick nach vorn“ kann auf dessen Blog unter www.justin-turpel.lu/deutschland/bundestagswahl-2025/ nachgelesen werden.

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