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  • Geier über der Ukraine

    Die ukrainische Bevölkerung kämpft an zwei Fronten

    Die russische Invasion in der ­Ukraine hat große Teile der dortigen Wirtschaft zum Erliegen gebracht. Der Staat kann seine Aufgaben nur finanzieren, indem er Schulden am internationalen Kapitalmarkt macht. Die Gläubiger zwingen dem Land einen neoliberalen Umbau auf. Nun fordert eine internationale Solidaritätskampagne die Streichung der ukrainischen Auslandsschulden.

    Der Krieg hat die Wirtschaft der Ukraine in eine tiefe Rezession gestürzt; innerhalb eines Jahres ist das Bruttoinlandsprodukt (BIP) um rund 30 Prozent gesunken. Ein Drittel der Bevölkerung ist auf der Flucht. Die monatlichen Ausgaben des Staates kann die Regierung nur durch neue Schulden finanzieren.

    Der Wiederaufbau des zerstörten Landes wird zusätzlich enorme Summen kosten. Die Gelder dazu leiht die Ukraine sich auf dem internationalen Kapitalmarkt und beim Internationalen Währungsfonds (IWF) – zu Bedingungen, mittels derer die Gläubiger sich das Land und seine Ressourcen unter den Nagel reißen wollen.

    Ein großer Teil der Wirtschaft ist durch den Krieg zum Stillstand gekommen; eine Inflation von bis zu 26,6 Prozent Ende 2022 hat die Realeinkommen drastisch gesenkt. Nur 60 Prozent der Ukrainer:innen konnten ihren Arbeitsplatz behalten. Viele Menschen verloren nicht nur ihren Arbeitsplatz, sondern auch ihr Zuhause und ihre Angehörigen. Die Zahl der zivilen Opfer geht in die Zehntausende, die der militärischen Opfer dürfte noch höher sein.
    8,2 Millionen Menschen sind außer, 5 Millionen innerhalb des Landes geflüchtet. Die Auslandsschulden der Ukraine beliefen sich Anfang 2023 auf 132 Milliarden US-Dollar, über 80 Prozent des BIP.
    Im März 2023 haben die Gläubigerländer in einer gemeinsamen Vereinbarung mit der Ukraine die im letzten Jahr beschlossene Aussetzung der bisherigen Zahlungsverpflichtungen bis 2027 verlängert. »Aber Vorsicht«, sagt Eric Toussaint vom CADTM*, »dies gilt nicht für alle Gläubiger, insbesondere nicht für den IWF und die privaten Gläubiger; außerdem werden während der teilweisen Aussetzung die anfallenden Zinszahlungen weiter angerechnet und zum Darlehenskapital, das gemäß den unterzeichneten Vereinbarungen vollständig zurückgezahlt werden muss, hinzugerechnet.«
    Der größte Teil der finanziellen Hilfe an die Ukraine erfolgt in Form von Krediten; die Hilfe wird also zu einer neuen Verschuldung. So ist auch die »außergewöhnliche« Hilfe von bis zu 55 Milliarden Euro, die die EU im November 2022 angekündigt hat, vollständig und mit Zinsen zurückzuzahlen; dabei gelten die Auflagen des IWF.
    Die ukrainischen Behörden begrüßen dies, aber es ist, wie Eric Toussaint sich ausdrückt, ein »vergiftetes Geschenk für das Volk, denn nach den derzeitigen Ankündigungen wird die Rückzahlung des Kapitals erst in etwa zehn Jahren beginnen.
    So wird die Regierung ermutigt, sich zu verschulden, weil sie einerseits einen hohen Bedarf hat und andererseits während ihrer Amtszeit nicht mit der Rückzahlung beginnen muss. Die Hauptlast der Schuldenrückzahlung wird auf andere Regierungen und unweigerlich auf das Volk zurückfallen.«
    Die USA haben sich für Zuschüsse statt Kredite entschieden, wie beim Marshallplan für den Wiederaufbau der Wirtschaft ihrer westeuropäischen Verbündeten Ende der 1940er Jahre. Sie haben sich verpflichtet, über 73 Milliarden zur Verfügung zu stellen. Diese Spenden, die ebenfalls an die Auflagen des IWF gebunden sind, werden zum Teil für den Kauf von Waren und Dienstleistungen ausgegeben, die von Unternehmen in den USA verkauft werden.

    Räuber am Werk
    Der IWF macht die Gewährung von Krediten von der Umsetzung harter neoliberaler Auflagen abhängig. Seit dem Jahr 2000 hat der IWF die ukrainischen Behörden mit 18 Kreditvereinbarungen (Memoranden) dazu gebracht, eine »Schockstrategie« umzusetzen: Liberalisierung und Förderung des Außenhandels, Freigabe der Preise, Abbau von Verbrauchersubventionen für die Ärmsten, Verschlechterung des Zugangs zu zahlreichen grundlegenden Dienstleistungen, Beschleunigung des Privatisierungsprozesses von Staatsbetrieben, Abbau des Arbeitsrechts.
    Die Auswirkungen der vom IWF empfohlenen Politik führten zu einer extremen Verarmung der Bevölkerung, sodass die Ukraine bereits im Jahr 2015 bei den Reallöhnen am unteren Ende der Skala aller europäischen Länder lag.
    Um den Auflagen des IWF und der Gläubiger Folge zu leisten, nahm die ukrainische Regierung im Sommer 2022 Änderungen am Arbeitsgesetz vor, durch die 70 Prozent der Beschäftigten den Schutz des nationalen Arbeitsrechts sowie das Recht auf Tarifverhandlungen verloren. »Null-Stunden-Verträge« nach britischem Muster, bei denen die abhängig Beschäftigten nicht wissen, wie viel Arbeit sie von einer Woche zur nächsten erhalten werden, wurden legalisiert.
    Zu den wichtigsten natürlichen Ressourcen der Ukraine gehört mit rund 320000 Quadratkilometern die fruchtbare Schwarzerde (Tschernosem); dies entspricht einem Drittel der Ackerfläche der gesamten EU. Die »Kornkammer Europas« produziert jährlich 64 Millionen Tonnen Getreide und Saatgut und gehört zu den weltweit größten Erzeugern von Gerste, Weizen und Sonnenblumenöl; sie ist für sieben Millionen Bauern mit je 2–4 Hektar Land Eigenbesitz die Lebensgrundlage.
    Im Jahr 2001 wurde ein Moratorium für den Verkauf von Agrarland an Ausländer verhängt, um die ungezügelte Privatisierung zu begrenzen. Nachdem das US-Außenministerium, der IWF und die Weltbank wiederholt die Aufhebung dieses Moratoriums gefordert haben, wurde es von der Regierung Selenskyj im Juni 2020 aufgehoben – noch vor einem für 2024 geplanten Referendum darüber.

    Internationaler Widerstand
    Im Juli 2022 trafen sich Vertreter der USA, der EU, Großbritanniens, Japans und Südkoreas in der Schweiz zu einer sog. Ukraine Recovery Conference, um Privatisierung, Deregulierung, Energiereform, Steuer- und Zollreform und die Privatisierung der staatlichen Unternehmen voranzutreiben.
    Am 21. und 22.Juni 2023 fand in London eine weitere Recovery Conference statt, um den Druck auf die Ukraine zu erhöhen. Doch diesmal ging ihr Treffen einher mit einer Gegenkonferenz der britischen Ukraine Solidarity Campaign (ukrainesolidaritycampaign.org), unterstützt vom »Europäischen Netzwerk für die Solidarität mit der Ukraine« (ENSU).
    Unter dem Titel »Eine andere Ukraine ist möglich« fanden bei dieser Veranstaltung am 17.Juni 2023 Anhörungen und Diskussionen mit ukrainischen und britischen Sozialaktivist:innen und Akademiker:innen, Gewerkschafter:innen und Parlamentsabgeordneten zu Schlüsselfragen des ukrainischen Kampfes für Freiheit und Wiederaufbau und über die wirtschaftliche, soziale und ökologische Erholung der Ukraine von den Folgen des Krieges statt.
    Ein zentrales Anliegen dabei ist die Streichung der ukrainischen Auslandsschulden, eine Forderung, die es durch eine internationale Kampagne zu unterstützen gilt. Nur durch die Streichung der illegitimen Schulden können die Ukraine und die dort lebenden und arbeitenden Menschen aus dem Würgegriff der Geier befreit werden.
    In diesem Sinne kämpfen ukrainische Linke und Gewerkschaften derzeit an zwei Fronten zugleich: einerseits gegen die russische Aggression und anderseits gegen die von der Selenskyj-Regierung mitgetragene neoliberale Politik von Gläubigern und dem IWF. Eine konsequente Unterstützung der ukrainischen Linken und Gewerkschaften in diesem doppelten Kampf durch die westlichen sozialen Bewegungen und sozialistische Linke wäre ein für beide Seiten wechselseitig interessanter und fruchtbarer Prozess.
    Einerseits wäre dies eine gemeinsame Mobilisierung für den Stopp der Bombardierungen durch Russland und den Abzug der russischen Truppen aus der Ukraine zur schnellstmöglichen Beendigung dieses Krieges. Andererseits würde eine breite Kampagne zur Streichung der Auslandsschulden der Ukraine, verbunden mit einer Unterstützung der ukrainischen Linken und der Gewerkschaften gegen die neoliberale und arbeiterfeindliche Politik der Selenskyj-Regierung den Weg öffnen für einen selbstbestimmten Wiederaufbau der Ukraine im Interesse der Vielen, nicht der Wenigen.
    Ein Wiederaufbau der Ukraine mit starkem Arbeitsrecht, umfassenden öffentlichen Dienstleistungen und einer guten Grundversorgung würde nicht nur Geflüchtete zur Rückkehr in ihr Land motivieren, er wäre auch ein wichtiger Beitrag zur Stärkung der internationalen Arbeiterbewegung insgesamt.

    *Das CADTM ist das Komitee zur Streichung der illegitimen Schulden. Eric Toussaint ist ihr internationale Sprecher, der auch die Kommission für die Wahrheit über die griechischen Staatsschulden koordinierte (cadtm.org).

  • Meng Carte Blanche op RTL: “De Kapitalismus léisst sech net reforméieren!”

    Meng ‚Carte Blanche‘ op RTL Radio Lëtzebuerg vum Méindeg, den 25. Juni 2018.

    [D’Carte Blanche um Site vun RTL lauschteren an d’Commentare liesen]

    Et soll een d’Saach kloer beim Numm nennen: Déi Gesellschaft an där mir liewen, ass eng kapitalistesch Gesellschaft! Jidderee weess et, mee kaum ee seet et … Et misst ee séch jo soss d’Fro stellen, wat ass dee Kapitalismus, wéi eng Auswierkungen huet en op Mënsch a Natur.

    Kapitalismus heescht Striewe no Profit, egal wat et kascht, verbonne mat mat immensem mënschleche Leed an enger ëmmer méi massiver Zerstéierung vun Natur an Ëmwelt. Mat Millioune vu Leit déi vun Honger stierwen, wärend eng kleng Minoritéit onendlech räich ass, an nach ëmmer méi räich gëtt.

    Am Kapitalismus vum 21. Joerhonnert drängt eng kléng Elit vu Kapitalbesëtzer, vu Finanzoligarchen, der ganzer Welt hir Muecht op, an dat méi staark, méi emfaassend, wéi je e Keeser oder Kinnek dat konnt.

    De Jean Ziegler, schwäizer Soziolog an Auteur vu ville Bicher zu deem Thema, seet et riicht eraus: De Kapitalismus muss zerstéiert ginn, ier en onse Planéit zerstéiert! An: De Kapitalismus léisst sech net reforméieren! Grad wéi de Sklaventum, deen 48 Millioune Mënschen deportéiert an entmënschlecht huet, net méi human gemaach oder verbessert konnt ginn. Dee System huet missen zerstéiert ginn a verschwannen, seet de Jean Ziegler. Och de Kolonialsystem, deen onendlecht Leed op der Welt geschaf a just wéineg Leit immens räich gemaach huet, konnt net just verbessert ginn. An esou – de Jean Ziegler weider – ass et och mam Kapitalismus. Et ass grondsätzlech onméiglech sou ee Gesellschaftssystem ze reforméieren, e System, dee Bëscher, Waasser a Klima zerstéiert an de Mënschen Krankheet, Honger an Kricher bréngt.

    Mënsch a Natur sinn haut amstand genuch ze produzéiere fir bal duebel souvill Mënschen ze ernären, wéi der op dëser Welt liewen; trotzdeem stierft all 4 Sekonnen ee Kand ënner 10 Joer un Honger. Dat ass Mord, seet de Jean Ziegler! 2 Milliarde Mënschen – also bal all drëtten – huet keen Zougang zu propperem Waasser, wärend e puer Multiën sech dat Waasser fir hire Profit uneegnen. Bal de ganze Räichtum deen op dëser Welt geschaf gëtt – 87% dovun – geet an d’Täsch vun deenen räichsten 1%.

    Vill Leit hunn sech an enger Nisch ageriicht, wou et hinnen – vis-à-vis vun aneren – relativ gutt geet. Mee och si waërten op d’Dauer net vun den Auswierkunge vun Ëmweltzerstéierung a Krich, oder vun enger vun de nächsten Wirtschaftskrisen verschount bleiwen. D‘Majoritéit vun de Mënsche leiden ëmmer méi ënnert der kapitalistescher Profitwirtschaft. Iwwerall op der Welt kämpfe Leit fir d’Iwwerliewen a fir eng besser Welt.

    Vill Asaz vun den Aarbechter an Aarbechterinnen, Gewerkschaften, Jugendlechen, Fraen, ënnerdréckte Minoritéiten, hunn et erlaabt d’Leed op dëser Welt e Bëssen anzeschränken. Trotzdeem musse mir ons bewosst ginn, datt d’Mënschheet nëmmen dann eng Zukunft huet, wann si sech fräi mécht vun all Zort vun Ënnerdréckung.

    Carte Blanche op RTL, e Méindeg, den 25. Juni 2018 um 7h50

    [D’Carte Blanche um Site vun RTL lauschteren an d’Commentare liesen]

  • Referat: Ist Europa auf dem Weg zur Steuergerechtigkeit?

    Referat am 16. Mai 2018 als Teil der Aufnahmeprüfung an der Uni Hamburg, Fachbereich Sozialökonomie. Die Vorgabe war ein Thema aus dem Bereich Sozialökonomie, das mindestens zwei Bereiche aus Volkswirtschaft, Betriebswirtschaft, Soziologie und Rechtswissenschaft betrifft und dessen Vortragen nicht länger als 15 Minuten dauert.

    1. Einleitung

    Mein Referat beschäftigt sich mit der Frage, ob Europa auf dem Weg zur Steuergerechtigkeit ist? Einleitend möchte ich dazu die Frage, was Steuergerechtigkeit überhaupt ist an 4 Beispielen konkretisieren.

    1) Erst einmal stellen wir fest: Jeder von uns zahlt Steuern; der eine mehr, der andere weniger. Die erste Frage ist demnach, ob solche Unterschiede beim Steuerzahlen gerecht sind?

    2) Nehmen wir als zweites ein Beispiel von Steuern bei denen jeder das gleiche zahlt, die Verbrauchersteuern. Bei den Verbrauchersteuern, wie der Mehrwertsteuer oder der Mineralölsteuer, ist der Steuersatz den man zahlt für jeden derselbe, unabhängig vom Einkommen des Steuerzahlers. Die zweite Frage lautet: Sind dieselben Steuern für jeden gerechter als unterschiedliche Steuern?

    3) Bei der Lohnsteuer, die uns vom Gehalt abgezogen wird, hingegen ist die Höhe der zu zahlenden Steuer abhängig von der Höhe des Einkommens; je höher der Lohn, umso höher ist der Steuersatz, der progressiv mit der Höhe des Einkommens zunimmt. Dies wird als Steuerprogression bezeichnet. Meist werden progressive Steuern als gerechter angesehen wie gleiche Steuern. Die 3. Frage ist, wieso werden progressive Steuern als gerechter angesehen?

    4) Und wie steht es mit der Betriebssteuer? Die nominalen, theoretischen Sätze der Betriebssteuern sind von Land zu Land sehr verschieden. Und die realen Sätze, die wirklich gezahlt werden, sehen nochmals ganz anders aus. Verschiedene Leaks (Lecks, Informationen von Insidern die durchgesickert sind) haben gezeigt dass große multinationale Konzerne, wie Amazon, Google, Ikea, McDonalds …, fast überhaupt keine Steuern zahlen, oftmals weniger als 1%, manchmal nur 0,05% oder gar nichts! Da drängt sich die Frage auf: Ist das denn gerecht?

    Diese Fragen zur Steuergerechtigkeit und die Frage ob Europa auf dem Weg zu Steuergerechtigkeit ist, wollen wir im Folgenden – entlang der geschichtlichen Evolution des Steuerzahlens – untersuchen.

    2. Die geschichtliche Evolution des Steuerzahlens und der Steuergerechtigkeit

    2.1. Steuern und Steuergerechtigkeit

    Steuern gibt es schon seit mehr als 5.000 Jahren. Könige und Herrscher brauchten Geld für Befestigungen, Soldaten und Prunkbauten, aber auch für Straßen, Brücken und Kanalisation, die allen zur Verfügung standen. Dieses Geld zogen sie mittels Steuern ein. Bei den Steuern gab es die kuriosesten Sachen, wie Bartsteuer, Perückensteuer, Spatzensteuer oder Jungfernsteuer. Bei der Urform der Steuern, der Fronarbeit, wurden Steuern in Form von Arbeit abgeleistet.

    Im Römischen Reich waren Kopfsteuer und Grundsteuer die zwei bedeutendsten Steuerarten. Bei der Kopfsteuer, die oft aus speziellen Anlässen eingezogen wurde, musste jeder dasselbe zahlen, egal wieviel er besaß. Viele Menschen aus den unteren Ständen konnten die geforderte Summe nicht aufbringen, während man mit derselben, für alle gleich hohen Kopfsteuer, nicht wirklich an das Geld der Reichen herankam. Seitdem werden gleiche Steuern für alle, unabhängig vom Einkommen und den Besitzverhältnissens, als ungerecht empfunden.

    Die Basis des heutigen Steuersystems in Deutschland legte Johannes Miquel, als er 1891 in Preußen eine einheitliche Einkommenssteuer anstelle der Klassensteuer einführte. Mit dieser Steuer wurden unter anderem ein steuerfreies Existenzminimum und erstmals eine Steuerprogression eingeführt.

    Mit der Frage von Recht und Gerechtigkeit wurde sich stark nach der französischen Revolution von 1789 befasst. Am 26. August 1789 stimmte die „Assemblée nationale“, französische Nationalversammlung, der Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte zu. In deren Artikel 13 heißt es: „Für den Unterhalt der öffentlichen Gewalt und für Verwaltungsaufgaben ist eine allgemeine Abgabe unerlässlich; sie muss auf alle Bürger, nach Maßgabe ihrer Möglichkeiten, gleichmäßig verteilt werden.“

    Wir sehen: „für Unterhalt der öffentlichen Gewalt“ und „für Verwaltungsaufgaben“, war „eine allgemeine Abgabe“, eine Steuer also, „unerlässlich“, die „auf alle Bürger gleichmäßig verteilt“ werden soll und zwar „nach Maßgabe ihrer Möglichkeiten.“ Dies sind die bis heute noch geltenden grundlegenden Prinzipien einer gerechten Besteuerung.

    Das Geld, das ein Staat benötigt um seine Aufgaben zu erfüllen, zieht er durch Steuern ein. Auch der heutige Staat bezieht ein Einkommen aus Steuern, um im Wesentlichen 4 Aufgaben zu erfüllen; 1) Infrastrukturen, wie Straßen und Kommunikationsnetzen, Schulen und Kinderkrippen, zu schaffen, 2) soziale Dienstleistungen ermöglichen, 3) seine regulative Rolle zu spielen, zum Beispiel durch eine funktionierende Gesetzgebung und Justiz, und 4) um „redistributiv“ zu wirken, indem unterschiedliche Einkommen und Vermögen umverteilt werden.

    Doch bereits 10 Jahre vor der französischen Revolution, im Jahre 1776, hat der Ökonom Adam Smith vier Grundsätze, die „tax cannons“, formuliert, wie Steuern gestaltet werden sollen, und zwar: gleichmäßig, im Verhältnis zum Einkommen; bestimmt, nicht willkürlich, bequem, nicht unnötig belastend und wirtschaftlich, mit so geringen Erhebungskosten wie möglich. Diese Grundsätze sind heute noch gültig. Doch werden sie auch so angewandt?

    Kommen wir dazu kurz zurück zu unseren einleitenden Beispielen.

    Verbrauchersteuern, bei denen bekanntlich jeder, unabhängig vom Einkommen, das gleiche zahlt, entsprechen nicht den Grundsätzen einer gerechten Steuer, so wie sie von Adam Smith und in Folge der französischen Revolution festgeschrieben wurden. Laut diesen Grundsätzen sind derartige Steuern, wo jeder grosso modo dasselbe zahlt, als ungerecht anzusehen.

    Die Lohnsteuer ist eine progressiv ansteigende direkte Steuer, deren Höhe an das Einkommen des Steuerzahlers gebunden ist. Die Steuerprogression garantiert eine gewisse Gerechtigkeit, so wie sie in den Grundsätzen von Adam Smith enthalten ist: wer mehr verdient, zahlt verhältnismäßig mehr Steuern als jemand, der weniger Einkommen hat.

    Doch insbesondere bei der Betriebssteuer, aber auch bei der Kapital- und der Vermögenssteuer, werden alle erläuterten Grundsätze von Gerechtigkeit über den Haufen geworfen.

    2.2. Skandale um Betriebssteuern

    Öffentlich wurde dies durch verschiedene Leaks, die darlegten, wie sowohl reiche Privatpersonen ihre Vermögen vor dem Fiskus verstecken, als auch mit welchen Methoden multinationale Gesellschaften ihre Steuerzahlungen reduzieren, d.h. gegen Null tendieren lassen.

    Im April 2013 deckten die sogenannten Offshore-Leaks auf, wie große Banken – wie die Deutsche Bank, JPMorgan Chase, USB – Firmen und 130.000 Privatpersonen aus verschiedenen Ländern verhalfen ihr Einkommen in neun Steueroasen vor den Steuerbehörden ihrer Herkunftsländer zu verstecken. Zwei Jahre später deckten die SwissLeaks auf, wie die HSBC-Niederlassung in Genf 106.000 Kunden aus 203 Länder verhalf 100 Mia US-Dollar vor den Steuerbehörden zu verstecken.

    Doch insbesondere die LuxLeaks konnten im November 2014 aufzeigen, welcher Mechanismen sich die größten multinationale Unternehmen der Welt, mit Hilfe großer Beraterfirmen, der sogenannten ‚Big Four‘, bedienen, um ihre Steuern soweit zu optimieren, dass sie, wie einleitend erwähnt, fast keine, oftmals überhaupt keine Steuern mehr zahlten.

    Die LuxLeaks zeigten, wie unterschiedliche Steuergesetze verschiedener Staaten, gekoppelt mit Doppel(nicht)besteuerungsabkommen, zu einer äußerst aggressiven Steueroptimierung genutzt werden. Dabei werden Gewinne über konzerninterne Transfers und hybride Finanzierungsinstrumente von einem Land in das andere geschoben. Länderspezifische Patent- und Lizenzgebühren und andere Nischen werden genutzt, um massiv Steuern einzusparen. In Steuervorbescheiden (‚Tax ruling‘) sichern Steuerverwaltungen diese Steuersparmodelle verbindlich zu.

    Allen Leaks gemeinsam ist, dass daran sowohl Whistleblower (also interne Informanten), als auch die Presse, vor allem das Internationale Konsortium für investigativen Journalismus (ICIJ), mit mehr als 200 Journalisten in 70 Ländern, beteiligt waren.

    2.3. Maßnahmen der EU gegen aggressive Steueroptimierung

    Um gegen die so aufgedeckte Steuerflucht und aggressive Steueroptimierung vorzugehen, hat die EU seitdem eine ganze Reihe von Initiative genommen, die im Folgenden kurz behandelt werden.

    Doch bereits im Vorfeld von LuxLeaks hatte die OECD, die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, unterstützt von den G20, Maßnahmen in die Wege geleitet, um der aggressiven Steueroptimierung großer Konzerne entgegen zu treten. So wurde im Juli 2013 der BEPS-Aktionsplan durch die OECD veröffentlicht. BEPS steht für ‚Base Erosion and Profit Shifting‘, auf Deutsch etwa Kürzung der Besteuerungsgrundlage und Verlagerung von Gewinnen. Im BEPS-Aktionsplan werden 15 konkrete Maßnahmen zur Bekämpfung der Gewinnkürzung und -verlagerung festgehalten.

    Nach dem LuxLeaks-Skandal drängt die EU auf eine beschleunigte Umsetzung der Maßnahmen aus dem BEPS-Plan. Ich will die Initiativen der EU an vier Beispielen verdeutlichen.

    1) An erster Stelle die Aufhebung des Bankgeheimnisses sowie der automatische standardisierte Austausch von Finanzinformationen zwischen Steuerverwaltungen der einzelnen Länder. Aber auch das Einrichten eines Registers der wirklichen Eigentümer von Firmen und Trusts geht in dieselbe Richtung.

    2) Ein Multilaterales Abkommen wendet zentrale Empfehlungen des BEPS-Projektes als Mindeststandard in einem Mal bei mehr als 1.000 Doppelbesteuerungsabkommen an. Dazu gehört auch die Verpflichtung zu einer wirklichen wirtschaftlichen Aktivität für länderspezifische Niederlassung, um so die Praxis von Briefkastenfirmen einzudämmen. Diese Verpflichtung gehört allerdings nicht zu den obligatorischen Mindeststandards, so dass einige Staaten eine Ausnahmeregelung geltend gemacht haben.

    3) Durch länderspezifische Berichte, dem ‚Country-by-Country-Reporting‘ (CbCR), sollen Konzerne in jedem Land, wo sie Tochtergesellschaften haben oder sonst wie aktiv sind, ihre Umsätze, Gewinne, Vermögenswerte, Lohnsumme, Anzahl der Vollzeitarbeitsplätze, … auflisten. Doch beim öffentlichen Zugang zu diesen Informationen, wie er vom Europaparlament und der EU-Kommission gefordert wird, legen sich verschiedene EU-Staaten quer.

    4) Nicht zuletzt gibt es den Versuch europaweit eine gemeinsame, koordinierte und konsolidierte Bemessungsgrundlage der Betriebssteuer für Unternehmensgruppen allererst ab 750 Mio Euro Umsatz, die ‚Common Consolidated Corporate Tax Base‘ (CCCTB) einzuführen. Doch darüber gibt es heftigere Auseinandersetzungen zwischen einzelnen EU-Staaten, die weiterhin selbst bestimmen wollen, welche Steuernischen sie zulassen wollen, und welche nicht, so dass die Verwirklichung dieses Projektes stark in Frage gestellt ist.

    Kontroversen gibt es auch bei der vor kurzem vor allem von Frankreich geforderten Einführung einer Steuer für Internetkonzerne, den sogenannten GAFA (Google, Amazon, Facebook, Apple und Konsorten). Diesem Vorschlag zufolge sollen Internetkonzerne nicht mehr auf dem schwierig zu ermittelnden Gewinn, sondern auf dem Umsatz, der eine klare, messbare Größe darstellt, besteuert werden.

    Aber auch NGOs bringen sich verstärkt in Steuerfragen ein, werden durch Steuerflucht und Steuerhinterziehung doch die bereits enormen sozialen Ungleichheiten weiterhin gefördert, während den Staaten dadurch riesigen Summen verloren gehen. NGOs fordern deshalb zwei zusätzliche Kriterien für Steuergerechtigkeit, und zwar 1) gleiche Besteuerung von Einkommen aus Löhnen und Kapital – dazu finden sie allerdings bisher wenig Echo bei den politisch Verantwortlichen; und 2) mehr Transparenz beim Steuerzahlen, und, in diesem Zusammenhang auch der Schutz von Whistleblowern – dabei finden sie teilweise Unterstützung bei OECD und EU.

    Dem gegenüber stehen die betroffenen Konzerne, die ihre Macht nutzen und massiven Lobbyismus betreiben, um sowohl einzelne Staaten, als auch die EU-Kommission, zur weiteren Steueroptimierung zu bewegen, und zwar mit Erfolg. Nicht nur dass Donald Trump die Betriebssteuer massiv senkte und einzelne EU-Staaten diesem Beispiel folgen wollen, auch die EU denkt darüber nach, neue europaweit harmonisierte Steuernischen, beispielsweise im Bereich von Forschung & Entwicklung, zu schaffen.

    2.4. Zwei gegensätzliche Bewegungen

    Abschließend zum Hauptteil meins Referates, möchte ich festhalten, dass man derzeit in Europa, aber auch darüber hinaus, zwei gegensätzliche Bewegungen in Sachen Steuern und Steuergerechtigkeit feststellen kann.

    a) Einerseits gibt es deutliche Bestrebungen von der OECD und den G20, dem Europaparlament und der EU-Kommission, von NGOs, aber auch einzelner Staaten, um eine allzu aggressive Steueroptimierung zu unterbinden und Schlupflöcher zu stopfen. In diesem Zusammenhang ist zu erwähnen, dass die EU-Kommission am 23. April 2018 den Entwurf einer Verordnung zum Schutz von Whistleblowern veröffentlicht hat.

    b) Andererseits bleibt Steueroptimierung auf Basis von Steuerkonkurrenz ein Geschäftsmodell sowohl für die EU, als auch für einzelnen Mitgliederstaaten, für die betroffenen Konzerne, ebenso wie für einen ganzen Wirtschaftszweig von Beraterfirmen (v.a. Big Four).

    3. Schlussfolgerung

    Schlussfolgernd möchte ich festhalten, dass es – wie wir gesehen haben – keine endgültige, eindeutige Definition von Steuergerechtigkeit gibt. Die Definition des Begriffes bleibt evolutiv. Trotzdem gelten die allgemeinen Prinzipien von Adam Smith und der Menschenrechtserklärung nach der französischen Revolution, mit einigen Ergänzungen, auch heute noch.

    Nach zahlreichen Skandalen in Bezug auf die tatsächlichen Steuerzahlungen der meisten multinationalen Konzerne und der Steuerflucht zahlreicher Privatpersonen drängt die EU darauf aggressive Steueroptimierung zu unterbinden, lässt aber weiterhin Steuerwettbewerb zwischen den einzelnen Staaten zu und bleibt auch selbst Akteur in diesem Bereich.

    Auch 250 Jahre nach Adam Smith und der Französischen Revolution, sind wir heute, in Zeiten von Protektionismus und verschärfter Konkurrenz, weltweit und auch in Europa, noch weit von Steuergerechtigkeit entfernt.

  • Wunnengskris zu Lëtzebuerg – Wou bleift de Schutz vum Locataire?

    Wunnengskris zu Lëtzebuerg – Wou bleift de Schutz vum Locataire?

    Hei meng ‘Carte Blanche’ op RTL Radio Lëtzebuerg vum Méindeg, den 16. Abrëll 2018.

    Bekanntlech gëtt et zu Lëtzebuerg eng akut Wunnengskris. Wärend Joerzéngte gouf de Wunnengsbau vrun allem dem fräie Maart iwwerlooss; deen huet et awer net fäerdeg bruecht genuch Wunnengen ze produzéieren. Déi successiv Regierungen ënnert dem Här Juncker hunn Spekulatioun op Bauterrainen an Immobilien ongebremst weiderlafe gelooss. Déi aktuell Regierung seet zwar, sii hätt de Problem erkannt, mee sii huet awer kee Konzept, wéi an deenen nächsten 10 Joer déi 65.000 bis 75.000 Wunnenge gebaut solle ginn, déi hei am Land gebraucht ginn.

    [Um Site vun RTL lausteren an d’Commentaire kucken]

    Mee haut wëll ech op ee spezielle Problem hiweisen, dee mat dëser Wunnengskris ze dinn huet. An zwar d’Situatioun vun de Locatairen.

    Wunnen ass ee Mënscherecht. Sou steet et am Sozialpakt vun der UNO an och an der Sozialcharta vun der Europäescher Unioun. Zu dem Mënscherecht op eng ugemoosse Wunneng gehéiert, datt Staaten a Regierungen verflicht sinn, Moossnamen z‘ergreifen, fir d’Wunnkäschten sou ze gestalten, dass se fir jiddereen erdrobar sinn. An dat ass zur Zäit net méi de Fall.

    Wien sech keng Wunneng kafe kann, muss eng Wunneng loune kënnen. Dat ass aktuell fir 30% vun alle Stéit de Fall. An der Stad sinn et scho 50% vun de Wunnengen, déi gelount ginn. An déi meescht jonk Leit kënnen sech kaum nach eng Wunneng kafen, wann hier Elteren hinnen net dobäi hëllefe kënnen. Ëmmer méi Mënsche sinn deemno drop ugewisen, eng Wunneng zu engem bezuelbare Preis lounen ze kënnen.

    Geréngverdéngend Stéit sollen dofir op eng Sozialwunneng zréckgräife kënnen. Ee Normalverdénger soll sech eng Wunneng zu engem Loyer leeschte kënnen, deen engem normalen Akommes entsprécht. An dovun si mer ëmmer méi weit ewech. 2016 hunn 35% vun alle Locatairë méi wéi een Drëttel vun hiren Akommes fir de Loyer ausgi mussen; Tendenz steigend.

    Ee Loyer, deen sech am Joer 1995 op 1.200.- € belaf huet, kéint am Joer 2016, op Grond vun der Liewensdeierecht, 1.800.- € bedroen. Dat ass eng normal Entwécklung. Da aktuellt Loyersgesetz léisst awer zou, datt dee Loyer, op Grond vun der Entwécklung vun den Immobiliëpräisser, elo op 4.500.- € klamme kéint! Dat ass net akzeptabel. Fir dat ze änneren, misst dat aktuellt Loyersgesetz dréngend reforméiert ginn, sou wéi d’Deputéiert Marc Baum an David Wagner dat Ufank Mäerz an enger Gesetzespropositioun virgeschloen hunn.

    An zwar sou, datt d’Loyeren net méi parallel zu den Immobiliëpräisser klammen, mee just souvill, wéi d‘Kafkraft vun de Leit. An dee Maximum duerf – am Géigesaz zu bis elo – dann och net méi iwwerschratt ginn.

    Och bräichte mer eng national Loyerskommissioun, an der souwuel d’Locatairë wéi d’Propriétairë vertruede sinn, fir de Respekt vun de Loyerspräisser z’iwwerwaachen.

    Wunnen ass kee Spekulatiounsobjet. Wunnen ass ee Mënscherecht. Dofir brauche mir dréngend eng Reform vum Loyersgesetz, fir sou deem schwächste Partner um Wunnengsmaart, de Locataire, ee wierksame Schutz ze bidden.

    Carte Blanche op RTL, een Méindeg, den 16. Abrëll 2018 um 7h50

     

  • Meng Carte Blanche op RTL: “Ëmdenken, Amëschen!”

    Wirtschaftswuesstem, méi Wuesstem, manner Wuesstem, anere Wuesstem – déi Fro beschäftegt Lëtzebuerg. Wuesstem bréngt Gewënn, Léin, Steieren, Entwécklung a Fortschrëtt fir jiddereen. Wirtschaftswuesstem = Fortschrëtt, heescht déi geheim Formel, déi sech hannert der Wuesstemsdebatt verstoppt.

    Mee, ass dat och sou? Bréngt Wirtschaftswuesstem wierklech deen erwaarte Fortschrëtt mat sech?

    Fir op déi Fro ze äntweren, muss ee kucken, wat mat deem geschaafte Räichtum geschitt.

    Mir wëssen: 99% vun der Weltbevëlkerung besëtzen zesumme manner wéi dee räichsten 1%, eng flagrant Ongläichheet, déi all Joer zouhëlt. An dat, well véier Fënneftel vum geschaafte Räichtum, 82%, direkt deem räichsten 1% zegutt kënnt. Wien also vill – vrun allem vill Kapital – huet, kritt vill derbäi. All déi aner, a besonnesch déi, déi vun hirer Aarbecht liewe mussen, kréie – trotz Wuesstem – ëmmer manner mat. Sou datt iwwert d’Halschent vun der Weltbevëlkerung all Dag mat 2-10 Dollar, dat sinn ëmgerechend 1,63 bis 8,17 Euro, auskomme muss.

    Dee geschaafte Räichtum gëtt also kengeswees gerecht opgedeelt. Ganz am Géigendeel! An dat ass zu Lëtzebuerg net aanescht.

    D’Opfaassung, datt, wat méi produzéiert gëtt, jidderee méi kritt, ass deemno carrement falsch!

    Wann een Deel vun der Produktioun och nach d’Ëmwelt an d’Klima nohalteg zerstéiert, Kricher a Verdreiwung mat sech bréngt, massiv Mënscherechter verletzt, dann ass d’Schafe vum Räichtum de Géigendeel vu Fortschrëtt! Weder méi, nach manner Wuesstem, ass déi richteg Äntwert op des Schieflag. Bëssen Ofstand huelen, mol erëm dat Ganzt gesinn an doriwwer nodenken, sinn ubruecht!

    An dobäi gesi mer, datt net de Wuesstem déi wichtegst Fro ass, mee wéi dee geschaafte Räichtum zustane kënnt a wéi e verdeelt gëtt.

    Dat misst eis all vill méi beschäftegen. Do ass een Ëmdenken absolut noutwendeg. Dat maachen déi, déi vun dëser absurder Weltuerdnung profitéieren, sécher net. Dozou brauch et Drock vun ënnen, d’Mobiliséierung vun de Bierger géint déi iwwermächteg Finanzoligarchie. Ënner aanerem

    • fir eng uerdentlech Remuneratioun vun der Aarbecht; dobäi och ee Mindestloun vun deem e Liewe kann;
    • fir eng Produktiounsweis, déi souwuel Ëmwelt a Klima, wéi och Mënscherechter respektéiert; och multinational Gesellschafte mussen douzou verflicht ginn;
    • fir eng Steiergerechtegkeet, bei der och d’Kapital e gerechten Undeel bezilt, fir sou Sozialsystemer ofzesécheren an Infrastrukturen ze schafen, déi d’Liewensqualitéit vu jidderengem erhalen a verbesseren.

    A dat och hei zu Lëtzebuerg. Wuesstem alleng séchert onse Pensiounssystem net of. Ouni Ëmverdeelung ass dat net méiglech!

    A wann d’Majoritéit vun de Politiker mat deene Mächtege ënnert enger Decke stécht oder vrun hinne kuscht, da muss d’Ëmdenke vun ënne kommen. Mir sollen ons amëschen, an zwar massiv!

  • Investmentfonds AATIF: Luxemburgs Rolle beim Landgrabbing

    Investmentfonds AATIF: Luxemburgs Rolle beim Landgrabbing

    Weg von der staatlichen Entwicklungshilfe, hin zu Privatinvestitionen, hieß es beim G20 in Hamburg zu Afrika. Das Herzstück davon, der Luxemburger „Africa Agriculture and Trade Investment Fund“ (AATIF), ist ein Steigbügelhalter für Landraub und Verarmung. Ein Beispiel aus der hiesigen Fondsindustrie.

    [Zuerst veröffentlicht in Woxx Nr. 1436 vom 11.8.2017 und auf Woxx.lu]

    Armutsbekämpfung muss oberstes Ziel unserer Entwicklungspolitik sein, betont Kooperationsminister Romain Schneider immer wieder. Die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel sprach beim G20 in Hamburg gar von einem „Marshallplan für Afrika“ zur „Bekämpfung von Armut“. Es gelte, „mehr Arbeitsplätze und bessere Löhne“ für die Menschen vor Ort zu schaffen.

    Bereits 2011 hatte das bundesdeutsche Entwicklungsministerium einen Investitionsfonds, den „Africa Agriculture and Trade Investment Fund“, kurz AATIF, gegründet und mit 75 Millionen Euro bezuschusst. Dieser Fonds wurde in Luxemburg angesiedelt, da hier die Bedingungen für solche Vorhaben besonders günstig sind. Steuerliche Erleichterungen sollen private Investoren zu Investitionen in Afrika mobilisieren. Die bundesdeutsche Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) sowie die Deutsche Bank, die mit der Verwaltung des Fonds beauftragt wurde, investierten jeweils 20 Millionen Euro in den AATIF;[1] inzwischen ist auch die Österreichische Entwicklungsbank mit 24 Millionen am AATIF beteiligt.[2]

    Beim G20 in Hamburg hob Angela Merkel den AATIF als Herzstück ihres „Marshallplans für Afrika“ hervor, damit „Privatinvestitionen nach Afrika, in die Länder Afrikas, gehen“, ein Paradigmenwechsel, weg von der staatlichen Entwicklungshilfe, hin zu Privatinvestitionen. Wolfgang Schäuble ergänzt, dies sei „entscheidend, um mehr Dynamik zu bekommen: private Investition in Afrika fördern – und das ist neu!“. [3] [4]

    Privatinvestitionen in Afrika – wozu?

    „Beträchtliche Potenziale“ sieht die Deutsche Bank beim AATIF. „Die Landwirtschaft ist in diesen Ländern von großer wirtschaftlicher Bedeutung. Die Armut auf dem Land ist beträchtlich, und 50 Millionen kleine Farmen sind von Einnahmen aus der Landwirtschaft abhängig“, heißt es in ihrer Darstellung. „Ungenutzte Landflächen können urbar gemacht, neue Wasserressourcen genutzt, Erträge gesteigert, lokale Wertschöpfungsketten ausgebaut werden. So kann ein Beitrag dazu geleistet werden, den steigenden Lebensmittelbedarf in Afrika und weltweit zu decken.“ [5]

    Ein Beispiel aus der Praxis: Ein Agrarunternehmen des auf Mauritius beheimateten Investors „Agrivision Africa“ hat in den vergangenen Jahren mehr als 17.000 Hektar Land in Sambia gekauft, Land, auf dem lokale Bauern vorher unter anderem Produkte für ihre Selbstversorgung anbauten. Dazu hat „Agrivision“ zehn Millionen Dollar vom Investmentfonds aus Luxemburg bekommen, um auf diesem Land, das einmal Ackerland lokaler Bauern war, Soja, Weizen und Mais auf industrielle Weise, zu einem großen Teil für den Export bestimmt, zu produzieren. Agravision profitiert dabei von einem Investmentschutz und -fördervertrag, der Exportrechte von bis zu 80 Prozent der Produktion sichert.[6]

    „Sie haben uns unser Ackerland weggenommen“

    Bis zum ersten Quartal 2017 hat der Investmentfonds AATIF insgesamt bereits 152 Millionen US-Dollar investiert, um so hundertausende Hektar Ackerflächen zu bewirtschaften. Mit der angekündigten „Bekämpfung der Armut“ (Schneider, Merkel) hat dies herzlich wenig zu tun. Im Gegenteil: den lokalen Bauern wurde Land weggenommen. „Mehr Arbeitsplätze und bessere Löhne“ gibt es auch nicht. Vielmehr wurde durch den massiven Landraub der lokalen Bevölkerung die Lebensgrundlage entzogen. „Während auf den neuen Farmen das Wasser praktisch pausenlos sprudelt, haben die Einwohner kein Recht auf sauberes Wasser. Von den Investitionen kommt nichts bei ihnen an“, hieß es in einem Bericht des ARD-Magazins „Monitor“ von Anfang Juli.

    „Sie (die Weißen) haben uns unser Ackerland weggenommen. Nun haben wir nicht mehr genug zu essen. Wir müssen hungern, weil sie nicht zulassen, dass wir unser Land bewirtschaften.“ So der Bauer Route Mkosha aus Sambia.[7] Die Dorfbewohnerin Rebecca Mkambo fügt hinzu: „Unsere Arbeitsbedingungen sind nicht gut. Wir kriegen nur sehr wenig Lohn. Von den Männern ist keiner fest angestellt, auch von den Frauen nicht. Nach zwei Monaten Arbeit werden wir wieder entlassen.“ Das Schlimmste sei, dass sie ihre Familien und Kinder nicht mehr ernähren könnten, denn viele von ihnen hätten ihr Land verloren, kleine Ackerflächen, die sie seit langer Zeit bewirtschaftet hatten.

    Der von der Bundeskanzlerin gerühmte und in Luxemburg angesiedelte AATIF bewirkt demnach genau das Gegenteil von dem was er vorgibt: Mehr statt weniger Armut, weniger Arbeitsplätze und weniger Einkommen für die Bevölkerung, die ihrer Existenzgrundlage beraubt worden ist. „Investoren aus dem Ausland haben per se kein Interesse an Entwicklung“, sagt Robert Kappel vom „German Institute of Global and Area Studies“: „Sie machen Profite, wollen Profite machen, wollen ihr Geld aus dem Land raus transferieren. Also wenn die Bundesregierung behauptet, es sei die Förderung von privaten Investoren aus Deutschland mit Entwicklung verbunden, so ist das eine Irreführung der Öffentlichkeit.“

    Wieso Luxemburg?

    Weshalb aber wurde der AATIF in Luxemburg angesiedelt? Ganz einfach, weil die Konstruktion des Fonds, die vor allem den privaten Investoren entgegen kommen soll, nach deutschen Recht überhaupt nicht möglich war;[8] dazu benötigte man das Investorenparadies Luxemburg.

    Der AATIF ist nach dem sogenannten „Wasserfall-Prinzip“ strukturiert. Das heißt, es gibt drei Risikoklassen. „Das geringste Risiko tragen die privaten Investoren, das mittlere Risiko liegt bei Banken, das größte Risiko trägt das bundesdeutsche Entwicklungsministerium. Der Clou für die privaten Investoren: Macht der Fonds Gewinn, fließen ihnen zuerst die Gewinne zu. Bei Verlusten ist es genau umgekehrt, da haften zuerst die öffentlichen Gelder, also der Steuerzahler. Eine gewagte Konstruktion. So gewagt, dass der Fond hier aufgelegt werden musste, im Steuerparadies Luxemburg. Das gibt das Ministerium sogar unumwunden zu. Zitat: „Die Gründung eines strukturierten Fonds wie dem AATIF ist in Deutschland aufgrund eines hierfür fehlenden Rechtsrahmens nicht möglich.“

    Demnach ist Luxemburg nicht nur ein Steuerparadies für Multis (siehe LuxLeaks), sondern fungiert auch als Steigbügelhalter für Landraub und Verarmung in Afrika.[9] Wer dazu beiträgt, dass die Existenzgrundlage von Menschen zerstört wird, darf sich nicht wundern, wenn diese Menschen Zuflucht in unseren Ländern suchen.

    Steigbügelhalter für Landraub und Verarmung

    Doch die Ausbeutung von Menschen, an der Luxemburg beteiligt ist, beschränkt sich nicht auf Afrika. In einer Studie für das Europaparlament untersucht Roman Herre von der Menschenrechtsorganisation FIAN zusammen mit dem „FoodFirst“ Informations- und Aktions-Netzwerk und dem niederländischen „Institute for Social Studies“ (ISS), auf welche Weise europäische Investoren beim globalen Landgrabbing involviert sind.[10] Dazu wurden 323 Fälle, in denen europäische Akteure, oft über komplexe Finanzstrukturen, an Landdeals im Ausmaß von 5,8 Millionen Hektar involviert sind, unter die Lupe genommen.[11]

    Dabei stellte sich heraus, dass Firmen und Investmentfonds, die in Luxemburg angesiedelt sind – so die „Socfin“, „Adecoagro S.A.“, die „Kernel Holding S.A.“, „Trans Oil Enterprize Holding S.a.r.l“, „Rioforte Investments“, „Athanor Equities“, „Camposol S.A.“ und andere[12] – in zahlreichen Kontinenten und Ländern (unter anderem in Argentinien, Peru, Costa Rica, der Ukraine und Rumänien, Nigeria, Ghana, Mozambik, Sierre Leona, Kamerun, Guinea, Liberia, in Kambodscha) – am Raub von über 800.000 Hektar Land beteiligt sind. Somit gehört Luxemburg zu den am stärksten involvierten Ländern Europas, so Herre, wobei die 323 untersuchten Fälle „nur die Spitze des Eisbergs“ darstellen würden.

    Die spärlichen Entschädigungsgelder, die für die Aneignung besagter Ländereien – davon zum großen Teil an Regierungen und keineswegs an betroffene Bauern oder lokalen Gemeinschaften – flossen, ändern nichts an der Tatsache, dass es hier um Landraub geht.

    Landraub unter Luxemburger Schirmherrschaft hat übrigens Tradition: So das Landgrabbing der Arbed (jetzt Arcelor-Mittal) in Brasilien, das 1985 auf vortreffliche Weise in einem Video „1000 Hektar Land fir 5 Liter Schnaps“ der Billerfabrik und des „Centre pastoral en monde ouvrier“ (CPMO) dokumentiert wurde[13] – Das lässt auch an das Ende des 19. Jahrhunderts denken, als die Arbed sich im Minett große Landstriche aneignete, die jetzt entweder zu horrenden Preisen verkauft oder völlig verseucht der öffentlichen Hand zur Entgiftung überlassen werden.

    Was verbirgt die Fondsindustrie noch?

    So sieht also der viel gerühmte „return on invest“ aus, von dem Ex-Finanzminister Luc Frieden so gerne sprach, wenn es um Investitionen – pardon: Entwicklungshilfe – in Afrika ging. Die derzeitige Regierung hat diese Politik, trotz Regierungsteilnahme der Grünen, konsequent fortgesetzt und gar ausgebaut. Nicht nur mehrere Freihandelskommen mit dem afrikanischen Kontinent zeugen davon. Es wird höchste Zeit, dass genau untersucht wird, welche Investitionen aus Luxemburg welche Auswirkungen haben, welchen Schaden sie anrichten und auf welche Weise Luxemburg dazu beiträgt, „Entwicklungsländern“ und ihren Bevölkerungen die Lebensgrundlage zu rauben.[14]

    Nichts darf darüber hinweg täuschen, dass der Schaden, den die beschriebene Politik anrichtet, nicht durch unsere „großzügige Entwicklungshilfe“, wie immer wieder betont wird,[15] wettgemacht werden kann.

    Über die Gewissheit hinaus, dass Luxemburg an der Ausbeutung und Verarmung von unzähligen Menschen beteiligt ist, stellen sich einige Fragen. Insbesondere jene, was sich noch alles hinter der Fondsindustrie in Luxemburg versteckt.

    LuxLeaks deckte auf, wie Beraterfirmen dank der Unterstützung der verschiedenen Regierungen Luxemburg zum Steuerparadies für multinationale Unternehmen ausgebaut haben. Die Panama-Papers zeigten teilweise, wie Luxemburg dazu beiträgt, Kapital in Offshore-Zentren zu verstecken und so dem Fiskus vorzuenthalten. Doch was sich alles hinter der Fondsindustrie und den darin investierten annähernd 4.000 Milliarden Euro verbirgt, sowie das Ausmaß des dadurch weltweit angestifteten Unheils, wurde bisher verschwiegen. Zu diesem Schweigen gehört auch, dass bis dato, mit Ausnahme der satirischen Wochenzeitung „de Feierkrop“,[16] kein Luxemburger Presseorgan den Bericht von „Monitor“ über den G20-Gipfel und den AATIF aufgegriffen hat.

    Auch wenn es falsch wäre, alle Investmentfonds in einen Topf zu werfen, so ist es dennoch eine Tatsache, dass unzählige Fonds mehr als fragwürdig sind. Und darüber sollte endlich gesprochen werden.

    Justin Turpel

    [Zuerst veröffentlicht in Woxx Nr. 1436 vom 11.8.2017 und auf Woxx.lu]

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    [1] https://www.aatif.lu
    [2] www.derstandard.at/2000046964704/Neue-Studie-Wie-Europa-Landgrabbing-beguenstigt
    [3] ARD-Sendung „Monitor“ vom 6. Juli 2017 „G20-Gipfel: Wer profitiert vom ‚Marshall-Plan‘ für Afrika?“, zu sehen unter https://www1.wdr.de/daserste/monitor/sendungen/afrika-politik-104.html
    [4] Eine genauere Einschätzung von Professor Robert Kappel vom „German Institute of Global and Area Studies“ GIGA aus Hamburg zu dieser neuen Afrika-Politik, dem „Compact with Africa“ findet sich unter www.zeit.de/wirtschaft/2017-07/g20-plaene-afrika-robert-kappel-interview/komplettansicht
    [5] https://www.db.com/cr/de/konkret-Africa-Agriculture-Trade-and-Investment-Fund.htm
    [6] Im „Schuldenreport 2017“ von „erlassjahr.de“ und MISEREOR haben Roman Herre und Dr. Walter Ulbrich für FIAN Deutschland ein eigenes Kapitel zur genaueren Einschätzung des AATIF veröffentlicht: „Investmentfonds übernehmen Entwicklungspolitik: Der AATIF-Fonds als Entwicklungsfinanzierung für die Agrarindustrie“, zu lesen unter https://www.fian.de/fileadmin/user_upload/news_bilder/Schuldenreport_2017_AATIF.pdf
    [7] Auszug aus der erwähnten ARD-Sendung „Monitor“ (siehe Fußnote 3), basierend auf Material von FIAN, dem „FoodFirst“ Informations- und Aktions-Netzwerk: www.fian.de
    [8] „Diese Struktur (sog. Wasserfallprinzip), wäre in Deutschland so nicht möglich gewesen.“ „Die Tatsache, dass der Fonds als solcher keine Ertragsteuer in Luxemburg zahlen muss, ist als absoluter Vorteil zu werten.“ Aus der Antwort der Bundesregierung vom 17.11.2014 auf eine schriftliche Frage, unter www.dipbt.bundestag.de/doc/btd/18/032/1803258.pdf
    [9] Die Begriffe Landgrabbing und Landraub werden hier synonym verwendet. Theoretisch umfasst das Landgrabbing sowohl die illegale, als auch die illegitime Aneignung von Land, insbesondere von Agrarflächen oder agrarisch nutzbaren Flächen, oft durch wirtschaftlich oder politisch durchsetzungsstarke Akteure (cf. https://de.wikipedia.org/wiki/Land_Grabbing); während der Landraub nur die illegale Aneignung betrifft. Durch die synonyme Benutzung der Begriffe Landgrabbing und Landraub verzichten wir ganz bewusst auf diesen Unterschied; siehe dazu auch die betreffende Studie unter Fußnote 10.
    [10] „Land grabbing and human rights: The involvement of European corporate and financial entities in land grabbing outside the European Union”, 10. Mai 2016, unter https://www.tni.org/files/publication-downloads/expo_stu2016578007_en.pdf; eine Kurzfassung auf Deutsch „Landgrabbing und Menschenrechte: Die Rolle von EU-Akteuren im Ausland“ findet sich unter www.fian.de/fileadmin/user_upload/dokumente/shop/Land_Grabbing/13_12_FIAN_Sambia_DE.pdf; eine Kurzfassung befindet sich unter https://www.fian.de/fileadmin/user_upload/dokumente/shop/Land_Grabbing/2017_Landgrabbing_und_Menschenrechte.pdf
    [11] www.derstandard.at/2000046964704/Neue-Studie-Wie-Europa-Landgrabbing-beguenstigt
    [12] Zur Datenlage der Studie, siehe www.landmatrix.org; sortiert nach den jeweiligen investierenden Ländern: www.landmatrix.org/en/get-the-detail/by-investor-country/luxembourg
    [13] „1000 Hektar Land fir 5 Liter Schnaps“ von Dany Stein und Guy W. Stoos (Billerfabrik, 1985) zusammen mit Fraenz Marcus und Angelika Matulla (Centre pastoral en monde ouvrier, CPMO). Zum Inhalt des Film siehe auch den Artikel von Fernand Fehlen im Forum unter https://www.forum.lu/wp-content/uploads/2015/11/1761_86_Fehlen.pdf
    [14] Eine entsprechende Studie von Rainer Falk aus dem Jahre 2009 (unter http://www.weltwirtschaft-und-entwicklung.org/downloads/etudefalk.pdf) wurde wegen angeblich falscher oder ungenügend belegter Daten scharf kritisiert; es wäre an der Zeit, diese Studie auf Basis gesicherter Daten neu aufzulegen.
    [15] 2017 zahlte das Großherzogtum 353 Millionen Euro, was 1,02 Prozent des Bruttonationaleinkommens (BNE) entspricht. www.lessentiel.lu/de/luxemburg/story/Vize-Weltmeister-bei-der-Entwicklungshilfe-27401420
    [16] De Feierkrop, Nr. 1129 vom 21. Juli 2017

  • Dakota Access Pipeline – Massiver Protest zeigt Wirkung!

    Mitte Februar dieses Jahres berichtete ich in einer Carte Blanche“ auf RTL ([1]) über die weltweiten Proteste gegen die Dakota Access Pipeline, mit der täglich 470.000 Fass Rohöl aus tausenden von Fracking-Bohrungen im Norden Amerikas, über 1.900 km durch 4 US-Staaten – dabei auch über heilige Stätte der Standing Rock Sioux aus Nord Dakota und durch Gebiete, die die Wasserreserven von 17 Millionen Menschen enthalten nach Illinois zum Verkauf auf dem Weltmarkt transportiert werden sollen. Ich entrüstete mich dabei über den Umstand, dass der Luxemburger Pensionsfonds Unternehmen, die am Bau der Dakota Access Pipeline beteiligt sind, massiv Gelder zur Verfügung stellt, genauso wie die BNP Paribas, an der der Luxemburger Staat beteiligt ist.

    In einem öffentlichen Aufruf am 9. März 2017 forderten 12 AktivistenInnen aus Luxemburg die hiesige Regierung, die BNP Paribas und den öffentlichen Pensionsfonds (Fonds de compensation) auf, jegliche Unterstützung für die Dakota Access Pipeline zu beenden. ([2]) In den darauffolgenden Wochen haben sich weitere 120 BürgerInnen diesem Aufruf angeschlossen.

    Parallel dazu haben ONGs in der ganzen Welt die Banken, die das Dakota Access Pipeline finanzieren, aufgefordert, ihre Beteiligung zu überdenken und zurückzuziehen.  Entsprechende Aktionen gab es sowohl in Amerika als in Europa, so in Norwegen (DNB), den Niederlanden (ABN Amro, ING), Deutschland (Bayern LG), Frankreich (BNP Paribas), der Schweiz (Credit Suisse), usw.

    Die norwegische DNB war einer der ersten Banken, die dem Druck nachgab, und ihre finanzielle Unterstützung der Betreiber der Dakota Access Pipeline zurückzog. Auch die schwedische Bank Nordea brach alle Beziehungen zu den Betreibern der Pipeline ab. Auf Grund der andauernden Mobilisierung hat die deutsche Bayern LB Ende Februar beschlossen, sich aus dem Projekt zurückzuziehen, genauso wie die niederländische ABN Ambro, während die ING ankündigte, ihre Beteiligung zu überprüfen.

    Aber auch in Luxemburg konnten wir einen wichtigen Erfolg erzielen: auf Grund des Protestes hat der Luxemburger Pensionsfonds beschlossen, Unternehmen, die an der Dakota Access Pipeline beteiligt sind, ihre Unterstützung zu entziehen ([3]). Es sind dies Enbridge, Enbridge Energy Partners, Enbridge Transfer Partners LP, Phillips 66 et Jerusalem Economy Ltd. Wir werten dies ausdrücklich als Resultat des hiesigen Protestes, der von den Organisationen aus dem Bündnis Votum Klima unterstützt wurde. Konsequenter Protest zahlt sich aus!

     Pensionsfonds, BNP Paribas und ING lenken ein

    Auch die BNP Paribas kündigte am 5. April öffentlich an, ihre Anleihen an die Betreiber der Dakota Access Pipeline verkauft zu haben. Die ING hatte dies bereits Ende März getan. Auch dies ist ein Erfolg der internationalen Mobilisierung!

    Bekanntlich hat Donald Trump sich über den Baustopp seines Vorgängers Barak Obama, der intensivere Umweltprüfungen gefordert hatte,  hinweg gesetzt und am 24. Januar, knapp vier Tage nach seiner Investitur, den Weiterbau der Pipeline angeordnet. Dieser war bis zum Mai weitgehend fertiggestellt und  ab dem 1. Juni floss das Rohöl aus den Fracking-Bohrungen in North Dakota durch die Pipeline nach Illinois.

    Nachdem die Standing Rock Sioux aus North Dakota zwei Mal von den Gerichten abgewiesen worden waren, wurde ihrer Besorgnis, dass die Pipeline die Wasserversorgung von 17 Millionen Menschen bedroht, Mitte Juni stattgegeben. Zu dem Zeitpunkt hat US-Bundesrichter James Boasberg eine Überprüfung des Betriebs der Pipeline angeordnet, die durch ein Stammesgebiet der Sioux verläuft. Diese Überprüfung dauert voraussichtlich bis ins nächste Jahr hinein an.

    Für die Standing Rock Sioux und ihre Unterstützer, die über 200 indigenen Stämme aus Nord- und Südamerika und die Aktivisten der Umwelt- und Klimaschutzbewegung, stellt diese Entscheidung eine wichtige Anerkennung ihrer Besorgnis und Anliegen dar. Der richterliche Beschluss lässt die Möglichkeit offen, dass die seit Mai betriebene Pipeline stillgelegt werden könnte. Dazu werden weitere Anhörungen der  Standing Rock Sioux und der Betreiber der Pipeline notwendig sein.

    So sehr wir uns auch über den Rückzug des Luxemburger Pensionsfonds aus der Dakota Access Pipeline freuen, so fragwürdig bleibt dennoch die Investitionspolitik des Fonds in anderen Bereichen. Der Pensionsfonds unterstützt und finanziert immer noch Unternehmen, die an umwelt- und klimaschädlichen Aktivitäten beteiligt sind. Und dies obschon es ein Leichtes wäre solche Unternehmen auf Grund des Pariser Klimaabkommens von der Liste der Nutznießer Luxemburger Pensionsgelder auszuschließen.

    Keine Transparenz, keine öffentliche Debatte …

    Außerdem stört uns die Art und Weise, wie der Pensionsfonds sich aus den Unternehmen zurückzog, die an der Dakota Access Pipeline beteiligt sind, nämlich heimlich und leise. Am 16. Juni veröffentliche der Pensionsfonds auf seiner Internetseite eine kurze Mitteilung über diese Ausschlüsse. Sonst nichts: keine Mitteilung an die Presse, keine weitere Erklärung, keine Darlegung der Argumente und Kriterien, auf Grund derer Firmen unterstützt respektive ausgeschlossen werden.

    Dass es auch anders geht, zeigt der norwegische Pensionsfonds, der jeden Beschluss erklärt und genauestens erläutert, weshalb ein Unternehmer ausgeschlossen wird.

    Und wann kommt es endlich zu der seit langem versprochenen Diskussion mit den ONGs und Abgeordneten über die Investitionskriterien des Luxemburger Pensionsfonds, welche die Regierung dem Parlament seit Längerem versprochen hat?

    Die Mobilisierung geht jedenfalls weiter, sowohl für den Ausschluss von menschenrechtsverletzenden-, sowie umwelt- und klimaschädlichen Unternehmen aus dem Genuss von Geldern des Pensionsfonds, als auch gegen die aus denselben Gründen schädliche Dakota Access Pipeline.

    Justin Turpel, 2. August 2017

    ________________________________

    [1] www.justin-turpel.lu/meng-carte-blanche-op-rtl-wat-ginn-ons-dsioux-aus-dem-dakota-un/

    [2] http://nodapl.lu/de/aufruf/

    [3] www.fdc.lu/investissement-socialement-responsable/

  • Parlamentarische Frage zum Datenaustausch über „linke Aktivisten“ zwischen Luxemburg und Bundeskriminalamt anlässlich des G20?

    Anlässlich des G20-Gipfels in Hamburg wurden Personendaten über „polizeibekannte linke Aktivisten“ vom Bundeskriminalamt (BKA) mit dem Ausland ausgetauscht. Das bestätigte die bundesdeutsche Regierung auf eine Anfrage des  Bundestagsabgeordneten Andrej Hunko von die Linke. Auch Luxemburg gehört laut Bundesregierung zu den Ländern, mit denen solche Daten ausgetauscht wurden. Dieser Austausch soll vor allem mit den nationalen Polizeibehörden und den PWGT-Stellen (Police Working Group on Terrorism) stattgefunden haben, heißt es weiter.

    Ob dies stimme, will der Abgeordnete von déi Lénk, David Wagner, von der hiesigen Regierung wissen? Und welche Luxemburger Behörden, außer der Polizei, an diesem Datenaustausch beteiligt gewesen seien und mit wem diese Daten ausgetauscht worden seien?

    Und wie definieren die Luxemburger Behörden denn überhaupt „linke Aktivisten“, „polizeibekannte linke Aktivisten“ und „linke Aktivisten, die im Kontext des G20-Gipfels Straftaten begehen könnten“? Werden in Luxemburg „linke Aktivisten“ polizeilich erfasst, und wenn ja von welcher Behörde? Und welche Rolle spielt der Geheimdienst SRE dabei, will der linke Abgeordnete wissen?

    Zusätzliche habe die Bundespolizei habe im Rahmen der grenzpolizeilichen Aufgabenwahrnehmung anlässlich des G20-Gipfels anlassbezogen „einen polizeilichen Informationsaustausch mit den zuständigen grenzpolizeilichen Behörden aller Nachbarstaaten zu Deutschland durchgeführt“, hat die Bundesregierung dem Bundestagsabgeordneten Andrej Hunko des Weiteren mitgeteilt.

    Worauf hin David Wagner von der hiesigen Regierung ebenfalls wissen will, ob luxemburgische Grenzbehörden sich an diesem Informationsaustausch beteiligt haben und ob dabei auch personenbezogene Daten verwendet wurden? Und ob es stimme, dass in diesem Zusammenhang „polizeiliche Verbindungsbeamte“ aus Luxemburg oder andere Vertreter von Luxemburger Behörden anlassbezogen in Deutschland weilten?

    Auf die Antworten kann man gespannt sein …

    Ich möchte daran erinnern, dass als „linker Aktivist“ aus Luxemburg beim G20-Protest in Hamburg anwesend war und über meine Eindrücke davon auf Woxx.lu (siehe unter www.woxx.lu/g20-gewalt/) resp. auf meinem Blog unter www.justin-turpel.lu/hamburg-g20-eskalation-gewalt/ berichtet habe .

    Hier die vollständige Anfrage von David Wagner an die Luxemburger Regierung.

  • Eindrücke von einer Reise nach Hamburg: G20 und die Eskalation der Gewalt

    Eindrücke von einer Reise nach Hamburg: G20 und die Eskalation der Gewalt

    Ich liebe Hamburg und komme nicht nur hierher, um gegen die G20 zu demonstrieren. Doch bei dieser Gelegenheit freute ich mich besonders auf die Vielfalt, die Begegnungen in Parks und bei Veranstaltungen. Doch es war anders, keine Ode an die Freude; die „Tochter aus Elysium“ war hinter Stacheldraht gefangen, beschützt von 20.000 Polizisten. Auflehnung und Gewalt schafften eine bleierne Atmosphäre, deren Eindrücke nun zu verarbeiten mir viel Kraft abverlangt. Dabei will ich mich im Folgenden auf das Wesentliche konzentrieren.

    Die stille Gewalt

    Es lastet eine lautlose Gewalt über der Stadt, eine nicht sichtbare Gewalt, von der die Medien gerade jetzt kaum sprechen: die Gewalt der Kriege, deren Betreiber sich durch Sicherheitskorridore in „rote Schutzzonen“ bringen lassen, um für den medialen Rummel zu posieren. Die Gewalt der Kriegstreiberei, die unzählige Menschen tötet und zur Flucht zwingt. Und die Gewalt, mit der Regierungen und Armeen, unterstützt vom rechten Mob, Flüchtende zurückweisen und zu Zehntausenden ertrinken lassen. Nicht hörbar ist hier ebenfalls die Gewalt des Hungers, der Unterdrückung, des Landraubs, die Abermillionen Menschen mittellos dahinvegetieren und alle fünf Sekunden ein Kind unter 10 Jahren verhungern lässt, obschon die verfügbaren Ressourcen für alle ausreichen würden. Diese Gewalt überschattet die Zusammenkunft der 20 mächtigsten Staatsoberhäupter, der Männer und Frauen, die 85 Prozent des Weltbruttosozialprodukts kontrollieren, die hinter Stacheldraht von 20.000 Polizisten bewacht werden, um ihre Beschlüsse zu fassen, über die die Betroffenen nicht mitreden können. Eine stille Gewalt, die über Hamburg schwebt, lautlos wie die von der Luxemburger SES gesteuerten Todesdrohnen über Pakistan, Syrien, Afghanistan, Jemen.

    Um diese Gewalt zu thematisieren und sich ihr zu widersetzen, trafen sich Menschen aus aller Welt während zwei Tagen, am 5. und 6. Juli, auf Kampnagel, zu einem alternativen Gipfel. Ihre ebenso interessanten wie vielfältigen Begegnungen und Veranstaltungen, genauso wie die Inhalte ihrer von 77 Initiativen und Organisationen organisierten Debatten (siehe unter www.solidarity-summer.org), wurden jedoch von Medien und Öffentlichkeit größtenteils ebenso ignoriert wie ihre Aktionen („Lieber Tanz‘ ich als G20“, „Bildungsraum statt Lernfabrik“, „Colorful Critical Mass“, …), die nicht so öffentlichkeitswirksam waren wie die Gewaltszenen und Auseinandersetzungen mit der Polizei.

    Hafenstraße

    „Welcome to hell“ hieß der bewusst provozierende Aufruf – mit Anspielung auf einen von Trumps Tweets zu Europa –, unter dem verschiedene autonome, anarchistische und antifaschistische Organisationen für den Tag nach dem alternativen Gipfel, den 7. Juli, zu einer „antikapitalistischen Demonstration“ aufgerufen hatten. Ab 16 Uhr hörten sich rund 10.000 Menschen Musik an, bevor sich um 19 Uhr die „gefürchtete“ Demonstration formierte. In allen Seitenstraßen standen stundenlang unzählige Hundertschaften der Polizei, jede-r Einzelne in einer 20 Kilogramm schweren Rüstung, zusammen mit Wasserwerfern und Räumfahrzeugen für den prophezeiten Augenblick bereit. Bereits im Vorfeld der Demo fiel mir auf, dass – trotz massiver Polizeipräsenz – keinerlei Kontrollen durchgeführt wurden, kein einziger Rucksack durchsucht wurde, was mich in Anbetracht der heraufbeschworenen Drohkulisse doch erstaunen ließ – es sah aus, als wolle man es darauf ankommen lassen. Kurz nachdem sich der Demonstrationszug formiert hatte, wurde klar, wieso: die Demo mit dem gefürchteten Schwarzen Block vorneweg wurde bereits nach einigen hundert Metern, zwischen zwei Kaimauern, von einem massiven Aufgebot von Polizei, Wasserwerfern und Räumfahrzeugen unter dem Vorwand, es würden sich Vermummte unter den Demonstranten befinden, gestoppt. Schnell stellte sich heraus, dass die Verantwortlichen entschlossen waren, den Demonstrationszug am Losziehen zu hindern und ihn aufzulösen.

    Die Eskalation der Gewalt produzierte die Bilder, die man haben wollte …

    Bei der anschließenden heftigen Intervention der Polizei, bei der es nur durch Zufall keine Toten gab, war schnell klar, worauf das Ganze hinaus lief: Es ging nicht darum die Demo unter Kontrolle zu bekommen, einzelne Demonstranten oder Gruppen zu neutralisieren oder abzutrennen, es ging schlicht darum, die Demo zu zerschlagen und die Teilnehmer in alle Himmelsrichtungen zu vertreiben, im vollen Bewusstsein, dass diese sich dann auf völlig unkontrollierbare Weise in der Innenstadt wieder zusammenfinden und dort Krawalle und weitere Auseinandersetzungen mit der Polizei auslösen würden. Und dabei hätte die Polizei die Mittel gehabt – zu dem Zeitpunkt befanden sich 15.000 Polizisten im Einsatz – die ganze Strecke abzusichern und die Teilnehmer weitgehend in Schach zu halten.

    Bewusste Eskalation

    Es war eine Eskalation mit System, genauestens geplant von der Polizeiführung unter Gesamt-Einsatzführer Hartmut Dudde, dem Vertreter der „Hamburger Linie“, dessen Einsatz in der Vergangenheit bereits öfters als nicht rechtmäßig eingestuft wurde. Er hatte die Unterstützung des Innensenators Andy Grote (SPD) und des gesamten Hamburger Senats (SPD und Grüne). Die darauffolgenden, sich bis in den Samstagabend hinziehenden Straßenschlachten mit brennenden Barrikaden, Plünderungen und in Brand gesetzten Autos, sowie die unzähligen Verletzten „auf beiden Seiten“ waren keineswegs das Resultat einer unvorhersehbaren Entwicklung, sondern die Folge einer klaren Polizeistrategie, die all dies wissentlich in Kauf nahm und eigentlich erst recht heraufbeschwor. „Meiner Meinung nach hat die Polizei sich während des Gipfels alle Mühe gegeben, sämtliches Wissen zum Thema ‚Deeskalation‘ zu ignorieren“, sagt dazu Dr. Dr. Peter Ullrich, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Protest- und Bewegungsforschung in Berlin (n.tv.de, 11. Juli 2017). Dies wird noch deutlicher, wenn man die Vorgeschichte dieser Ereignisse betrachtet.

    Bereits Wochen vor dem Gipfel hatte die Polizeiführung immer wieder Demonstrations- und Versammlungsfreiheit infrage gestellt, oftmals entgegen richterlichen Erlässen, die diese Grundrechte jeweils erneut bekräftigten. Etwa jenes, in Parks zu übernachten, was die Polizeiführung flächendeckend untersagte, so dass sie das Camp in Entenwerder räumte – mit der Begründung, die Richter hätten dort nur das Campen und Essen, nicht jedoch das Schlafen erlaubt! Bereits im Juni hatte die Polizei auf einem 38 Quadratkilometer großen, die gesamte Innenstadt umfassenden, weit über die „rote Zone“ der Tagungsorte hinausgehenden Gebiet jegliche Demonstration, Versammlung oder Veranstaltung untersagt, was ebenfalls von den Richtern für unzulässig erklärt worden war.

    Das heftige Vorgehen der Polizei gegen die Teilnehmer-innen der „Welcome to hell“-Demo stellte eine Eskalation dar, deren Folgen absehbar waren; das Vorhaben, die Vermummung von Teilnehmern zu unterbinden, war eine unverhältnismäßige Verletzung des Grundrechts der Versammlungs- und Demonstrationsfreiheit. Zahlreiche andere Polizei-Interventionen gegen tanzende oder ausgelassene Menschengruppen am Freitagabend und am Samstagabend entsprachen demselben Schema. Auch das Vorgehen gegen Presseleute, die vor Ort daran gehindert wurden, Ereignisse zu dokumentieren, oder denen man – auf der Grundlage mysteriöser schwarzer Listen – die Akkreditierung entzog, gehörten zu dieser Strategie – nicht anders als das Verhalten gegenüber Anwälten, die in der Gefangenensammelstelle daran gehindert wurden, die Verhafteten zu unterstützen und zu beraten. Dass Sanitäter und Feuerwehrleute daran gehindert wurden, ihrer lebenswichtigen Aufgabe nachzukommen, gehört eher zu den Kollateralschäden dieser Vorgehensweise, wobei schwere Verletzungen und gar Tote – wie in Genua – in Kauf genommen wurden.

    Bilder, die man brauchte

    Durch diese Eskalation der Gewalt sollten die Bilder produziert werden, die man haben wollte, und zwar sowohl bei der Polizei als auch bei verschiedenen Gruppen der Autonomen. Bilder, die um die Welt gingen und zeigen sollten: wir müssen uns gegen Randalierer, Krawallmacher und radikale Linke wehren; dazu brauchen wir mehr Polizei und mehr Kontrollen, in bestimmten Situationen verstärkte Einschränkungen des Demonstrations- und Versammlungsrechtes, sowie vor allem international verstärkte Überwachung der „radikalen Linken“, bis hin zu einem internationalen Register “Linksradikaler“. CDU-Prominente wie Bosbach und Altmaier fordern dies nun lautstark. Es wäre nicht das erste Mal, dass sie mit diesem Ruf ihre Wahlchancen verbessern wollen. Unter anderem deshalb stimmen zahlreiche SPDler und leider auch Grüne, wenn auch etwas gemäßigter, in den Chor mit ein.

    Mit den Bildern schaffte man nicht nur eine Stimmung, die künftig verstärkte Repression gegen Demonstranten und Andersdenkende rechtfertigen soll, sondern hatte auch Erfolg damit, vom eigentlichen Thema, den Machenschaften der G20, abzulenken. Denn so steht es im Moment: Die größten Kriegstreiber und Gewalttäter der Welt kommen zu einem Treffen zusammen, doch statt über sie und ihre Beschlüsse und Handlungen wird nur über Krawalle, Plünderungen und brennende Autos auf der Sternschanze und der Roten Flora geschrieben und geredet! Das schafft zusätzlich Wut und heizt die Stimmung weiter an.

    Und ganz nebenbei werden die Aktionen von hunderttausend Aktivisten und Engagierten, die friedlich gegen den G20 demonstrierten, dem Vergessen überantwortet oder, schlimmer noch, nach dem Grundsatz „linke Kritik/Ideologie ist der Nährboden für Gewalttäter“, mitverantwortlich für die Ausschreitungen gemacht!

    Unterstützung für diese Sichtweise gibt es allerdings auch im linken Lager, beispielsweise, wenn behauptet wird, durch friedlichen Protest sei noch nie etwas erreicht worden und schon immer habe man „wütend und zerstörerisch durch die Straßen ziehen, Glasscheiben einwerfen und Landsitze anzünden müssen, um schließlich gehört zu werden“ (Auszug aus dem „Protest-Reader“). So wurde es auch in Hamburg von Einigen praktiziert. Auch NPDler und Hooligans gegen Salafisten (HoGeSa) haben bei den Straßenkämpfen mitgemischt.

    Schwarz-weiß-Malerei fehl am Platz

    Immer wieder bekommt man, sogar von denjenigen, die die Eskalation der Polizeigewalt kritisieren, zu hören, Gewalt habe es auf der einen wie der anderen Seite gegeben. Diese Darstellung lässt unbeachtet, dass diese beiden Seiten keine kollektiven Blocks sind. Die Polizei ihrerseits stellt ein einheitliches Korps von Befehle ausführenden Trupps dar. Der/die einzelne Polizist-in ist nicht ein eigenständig handelnder Mensch, sondern vor allem Befehlsempfänger und -ausführer (wobei die meisten Polizisten, auf Grund ihrer Ausbildung und Konditionierung, sich mit der Ausrichtung und den Befehlen ihrer Oberen identifizieren und oftmals glauben, noch härter vorgehen zu müssen. Dabei frage ich mich immer wieder, ob die anderen Polizisten, diejenigen, die ihre Führung und ihre Eskalationsstrategie kritisch sehen, keine Gewerkschaft haben, die Kritik an der Einsatzleitung voranbringt und ihre Mitglieder gegen Schikanen und unmenschliche Arbeitsbedingungen u.a. bei derartigen Einsätzen, mit 21 Stunden-Einätzen und ohne Schlaflager, schützt …). Die Verantwortung für das Vorgehen der Polizei liegt dennoch klar bei der Polizeiführung und den politisch Verantwortlichen. Und solange die Polizei mit eingeschleusten Verbindungsleuten operiert, weiß niemand, wer wirklich den ersten Stein geworfen hat.

    Die Zusammensetzung der Demonstranten und NoG20-Teilnehmer hingegen war bunt und vielfältig. Sie war weit weg von einheitlichen Beweggründen und Verhaltensweisen und einer gemeinsamen Führung. Sie und ihre Organisationen einigten sich auf verschiedene Aktionen, und diese waren klar umrissen: Begegnungen, Debatten, Unterkunft, gewaltfreie Demos bis hin zu friedlichen Blockaden. Zu mehr Einigkeit reichte es nicht, es gab unzählige parallele Aufrufe und Veranstaltungen mit jeweils eigener Ausrichtung. SPD und Grüne waren nicht einmal bereit, die große Demo vom 8. Juli, die immerhin 80-100.000 friedliche Demonstranten auf die Straße brachte, zu unterstützen, sondern riefen zu einer parallelen Demo mit anderem Streckenverlauf auf (4-6.000 Teilnehmer).

    Niemand, der angereist war, um gegen G20 zu demonstrieren, ist verantwortlich für die Taten anderer, weder für die von Organisationen, die die Auseinandersetzung mit der Polizei suchen (etwa um „den Zusammenbruch des Systems zu beschleunigen“, oder „dessen Wahrnehmung zu gewährleisten“, wie es heißt) noch für die von Hooligan-artigen Randalierern, die plündern und Autos in Brand setzen wollen, mit linker oder fortschrittlicher Politik jedoch nichts zu tun haben. Durch ihr gewaltsames Vorgehen und die Eskalationstaktik gegen alle hat die Polizei nicht einmal erreicht, dass friedliche Aktivisten und NoG20-Teilnehmer sich gegen derartige Gewaltakte wehrten und selbst dazu beitrugen, diese zu isolieren und eventuell zu verhindern. Im Gegenteil: die Polizei hat den Aufstand regelrecht gefördert und breite Teile der Bevölkerung gegen sich aufgebracht.

    Stadtverantwortliche, die bereit sind, den Gipfel der Weltherrscher zu beherbergen und zu schützen, müssen auch bereit sein, die Versammlungsfreiheit und das Recht der Gegendemonstranten zu schützen. Das ist in Hamburg nicht geschehen. Die Folgen haben sich gezeigt. Dafür „die Linke“ oder die G20-Gegner global verantwortlich zu machen, entbehrt jeder Grundlage. Und mit dem Geld für den ganzen Scheiss, den man da in Hamburg abzog – ungefähr im Wert einer zweiten Elbphilharmonie – hätte man wahrhaftig Besseres anfangen können.

    Und jetzt?

    Dass die Ausschreitungen und Krawalle den breiten und friedlichen Protest, den Alternativen Gipfel und die Großdemo am 8. Juli mit 80-100.000 Teilnehmern überdeckten, ist auch ein Resultat der Schwäche linker Alternativen und Strategien. Es fehlt an einer internationalen Strategie mit der, nach der Schwächung der Antiglobalisierungsbewegung, nationale Proteste zusammengeführt und räumlich begrenzte Initiativen sowie lokale, regionale und nationale Politikansätze miteinander verknüpft werden könnten. Das Fehlen einer Debatte hierüber stellt ein wichtiges Hindernis bei der Herausbildung einer sozioökonomischen Transformation dar, die über den Kapitalismus hinausgeht.

    Dabei ist auch eine Diskussion über den Charakter und den Stellenwert von Aufständen („riots“) in den Metropolen spätkapitalistischer Konsumgesellschaften angesagt. Die Instrumentalisierung des Aufstands für ihre Zwecke und die Intervention eines militarisierten Polizeiapparats (des schwerbewaffneten Spezialeinsatzkommandos SEK) wie in Hamburg deuten darauf hin, dass die Herrschenden den Umgang mit Aufständen, welcher Art auch immer, bereits proben.

    Auch sollte man die Bestrebungen der Herrschenden nicht unterschätzen, Protest, Mobilisierung und Problematisierung der „kannibalischen Weltordnung“ (Jean Ziegler) zu behindern und die Herausbildung eines transnationalen Netzwerkes aus sozialen Bewegungen, linken Parteien, Gewerkschaften, Organisationen und Regierungen – auch gegen die Politik des G20 – zu hintertreiben. Hamburg liegt mittendrin.

    Hamburg, am 11. Juli 2017

    [Zuerst veröffentlicht auf Woxx.lu am 13. Juli 2017, ebenso wie Auszüge davon in der Printausgabe der Woxx, Nr. 1432/17 vom 14. Juli 2017, Seite 11]

     

  • Meng Carte Blanche op RTL: “D’SES vu Betzder an d’Geschäft mam Drone-Krich”

    Meng Carte Blanche op RTL: “D’SES vu Betzder an d’Geschäft mam Drone-Krich”

    D’Carte Blanche op RTL.lu lauschtern …

    Nee, ech schwätzen haut net iwwert d’franséisch Walen – dat maachen ech an enger Stellungnahm op mengem Blog. Ech wëll dës Carte Blanche notzen, fir op eppes opmierksam ze maachen, wat mech scho laang stéiert, a wou et mech wonnert, datt dat bis elo nach net a Fro gestallt ginn ass – an zwar d’Bedeelegung vun der SES, der Europäescher Satellittegesellschaft vu Betzder, beim Doutmaachen vu Mënschen duerch Dronen.

     Am sou genannten „Kampf géint den Terror“ setzt d’amerikanesch Arméi Dronen an, déi iwwert d’Satellitten vun der SES gesteiert ginn, fir sou Terroristen, déi op der amerikanescher „Kill-list“ stinn, ofzeschéissen. Dat geschitt net nëmmen ouni Geriichtsuerteel, mee dobäi kommen dausenden vun Zivilsten, dorënner ganz vill Kanner, mat ëm d’Liewen. Deen Drone-Krich ass net nëmme kontraproduktiv, mee e verstéisst an allen Hisiichten géint d‘Genfer Konventioun, déi nom 2. Weltkrich gemaach gouf, fir ënner anerem d’zivil Bevëlkerung während Kricher ze beschützen.

    Dat mer ons richteg verstinn: et geet mir iwwerhaapt net drëms all Aktivitéiten vun der SES ze verdäiwelen. Villes wat mat Satellitten gemaach gëtt, ass eng gutt Saach, a souguer ganz hëllefräich fir vill Mënschen op der Welt. D’Iwwerdroe vun Telefonsgespréicher an anere Kommunikatiounen, grad sou wéi vum Internet a Fernsehsbiller, bis hin zur Kommunikatioun an Noutstandsgebitter: alles dat sinn Aktivitéiten vun der SES, déi séier nëtzlech sinn.

    Mee awer och Dronen, déi Mënschen ëmbréngen, ginn iwwer d’SES-Satelliten gesteiert.

    An déi SES gehéiert – zesummen mat der Spuerkeess an der nationaler Investitiounsgesellschaft – dem Lëtzebuerger Staat.

    A bis elo huet kee Vertrieder vum Staat am Verwaltungsrot sech dergéint gewiert, datt iwwert SES-Satellitten Dronen gesteiert ginn déi Mënschen ëmbréngen. Schliisslech ass dat ee gutt Geschäft, mat deem vill Suen verdéngt ginn …

    Leider ass dat net déi eenzeg Aktivitéit vun ëffentleche Betriber oder Betriber un deenen de Staat bedeelegt ass, mat der géint Mënscherechter oder gülteg international Konventiounen verstouss gëtt: den ëffentlechen Lëtzebuerger Pensiounsfong investéiert nach ëmmer a Firmaen, déi d‘Klimaschutzofkommes vu Paräis net respektéieren; an den Zukunftsfong ënnerstëtzt souguer Betriber, déi hier Geschäfter mat Streebomme maachen!

    Dobäi froen ech mech, wéi laang nach gutt bezuelten Fonktionnären als Vertrieder vum Staat an sou Verwaltungsréit sëtzen, ouni datt si drop halen, datt déi Betriber Mënscherechter an international Konventiounen, déi Lëtzebuerg ënnerschriwwe huet, respektéieren?! Hunn si iwwerhaapt Zäit fir sou een wichtegen d’Job, quasi niewelaanscht, nieft hirer eigentlecher Aarbecht, ze maachen? Oder dinn déi héich Indemnitéiten si vergiessen, datt si do eng Opsiichtspflicht hunn?

    Et gëtt Zäit, datt de Staat, d’Chamber grad sou wéi d’Regierung an hier Vertrieder an de Verwaltungsréit, net méi zouloossen, datt ëffentlech Betriber oder Betriber mat staatlecher Bedeelegung géint gültegt Recht, Konventiounen a Mënscherechter verstoussen.

    D’Carte Blanche op RTL.lu lauschteren …