Da immer mehr Haushalte große Probleme haben, ihre Strom- und Gasrechnungen zu begleichen, hatte ich der für Familie und Integration Ministerin Corinne Cahen und Wirtschafts- und Energieminister Etienne Schneider verschiedene Fragen zu diesem Thema gestellt (Parlamentarische Anfrage Nr. 840 vom 15. Januar 2015).
Wie viele Haushalte es gebe, die ihre Strom-, Gas- oder Heizölrechnung nicht mehr begleichen können? In wie vielen Fällen diese Kosten vom Sozialamt übernommen worden seien und wie oft es in den letzten 5 Jahren zum Absperren der Strom- resp. Gaszufuhr gekommen wäre? Zu all dem gab es präzise Antworten von Seiten der zuständigen Minister. Im Jahr 2013 hätten die Stromlieferanten 3 360 Mal eine Prozedur eingeleitet, um eine Abschaltung zahlungsunfähiger Kunden vorzunehmen, im Gasbereich wären es in der gleichen Zeitspanne 1979 solcher Falle gewesen.
Jährlich fast tausend Haushalte von Strom und Gas abgeschnitten
Mit 962 tatsächlich ausgeführten Abschaltungen im Jahre 2013 (746 beim Strom und 216 beim Gas) seien „lediglich etwa 20% der Haushaltskunden, die ihre Rechnung nicht bezahlt hatten, auch tatsächlich abgeschaltet“ worden, heißt es weiter. Die Rechnungen der restlichen Kunden wären nachträglich selber bezahlt oder, im Falle von schutzbedürftigen Kunden, vom zuständigen Sozialamt übernommen worden; die insgesamt 30 Sozialämter seien bei 335 Haushalten eingesprungen und hätten im Jahre 2013 dazu 182.393 Euro ausgegeben. Zu all dem werden ausführliche Tabellen für die Periode 2010 bis 2013 in der Antwort der Regierung auf meine Fragen mitgeliefert.
Doch zu den weiteren Fragen werden nur schwammige oder überhaupt keine Antworten gegeben.
Die Frage beispielsweise, wie die personelle Zusammensetzung und die Einkommenssituation der zahlungsunfähigen Haushalte aussehe, bleibt unbeantwortet – obschon gerade dies doch interessant wäre, um die Situation der betroffenen Haushalte besser kennen zu lernen.
Keine Antworten auf wesentliche Fragen
Auch die Fragen, in wie vielen Fällen und aus welchen Ursachen vom Lieferanten, trotz Nichtzahlung, auf eine Absperrung verzichtet wurde, blieben unbeantwortet. Die Frage, wie groß im Falle von Absperrung die Zeitspanne bis zur Wiederherstellung der Strom- oder Gaslieferung war, blieb ebenfalls ohne Antwort. Dabei wurden allein im Jahr 2013 immerhin 962 Haushalten der Strom und/oder Gas abgeschnitten; 2012 waren es 729, 2011 deren 981 und 2010 deren 923!
Angesichts der Tatsache, dass jährlich rund tausend Haushalten Strom oder Gas abgeschnitten wurden, scheinen mir die Fragen doch ziemlich relevant, wie lange die Unterbrechung der Energiezufuhr jeweils dauerte, wie sich die betroffenen Haushalte zusammensetzten, welches ihre Einkommenssituation war und warum sie keine Unterstützung vom Sozialamt erhielten.
Auch die Frage, ob es eine umfassende Studie über die Energiearmut, deren Ursachen, die Betroffenen, die regionale Verteilung und Entwicklung, die Konsequenzen für die betroffenen Haushaltsmitglieder und internationale Vergleiche gäbe, blieb unbeantwortet! Auf die Frage, ob die Regierung beabsichtige, eine solche Studie, falls es sie noch nicht gäbe, in Auftrag zu geben, …ebenfalls keine Antwort!
Regierung hatte der Energiearmut den Kampf angesagt
Im Regierungsprogramm hatten DP, LSAP und Greng der Energiearmut den Kampf angekündigt. Das hörte sich bei der Regierungserklärung folgendermaßen an: „Mir musse (…) déi nei sozial Erausfuerderungen ronderëm de Logement, d’Bildung an Energiearmut konsequent ugoen an d’Spillregele vun eiser Gesellschaft moderniséieren“, so Premierminister Xavier Bettel bei der Regierungserklärung in der Abgeordnetenkammer am 10. Dezember 2013.
Doch der Kampf gegen Energiearmut scheint inzwischen vergessen worden zu sein. Auf die Frage, „welche Maßnahmen die Regierung zu ergreifen (gedenkt), um ihr Vorhaben zur ‚konsequenten Bekämpfung der Energiearmut‘ zu verwirklichen“, gibt es folgende Antworten.
„Im Rahmen der Ausarbeitung der Gesetze zur Organisation des Strom- und des Gasmarktes wurden bereits In den Jahren 2006 und 2007 intensive Diskussionen über mögliche Lösungsansätze geführt mit dem Ziel, eine angepasste Lösung zu finden, die eine adäquate Antwort für diesen Problembereich darstellt.“ Welch schwammige Worthülsen: „intensive Diskussionen“, „mögliche Lösungsansätze“, „eine adäquate Antwort für diesen Problembereich“!! Doch weiter: „Den Ergebnissen dieser Diskussionen wurden in den vorgenannten Gesetzen Rechnung getragen und haben den Grundstein gelegt für die Berücksichtigung der Problematik der Energiearmut der einkommensschwachen Haushalte.“ Und „die entsprechenden Regelungen sind im August 2007 in Kraft getreten.“
Kampf gegen die Energiearmut ist kein Thema mehr!
Weiter im Text der Antwort: „Im Rahmen der Arbeiten am Gesetz über die Organisation der Sozialhilfe wurden die Diskussionen über die Fragen der Energiearmut zwischen den zuständigen Ministerien ebenfalls aufgegriffen um damit eine optimale Verzahnung zwischen der Sozialgesetzgebung sowie der Gesetzgebung im Energiebereich zu erzielen. Die entsprechenden Regelungen sind Anfang 2011 in Kraft getreten.“
Die Schlussfolgerung dieser „Diskussionen“, „möglichen Lösungsansätze“, „adäquaten Antworten“ und „optimalen Verzahnung“ sind umwerfend: „Die derzeitigen Regelungen geben damit eine angemessene Antwort auf die Risiken der Energiearmut „!
Und: „myenergy, die nationale Struktur für Information und Beratung in den Bereichen Energieeffizienz und erneuerbare Energien, im Jahre 2014 ein Pilotprojekt mit einem ausgewählten Sozialamt durchgeführt hat, um weitere Erkenntnisse bei der Begleitung von einkommensschwachen Haushalten zu gewinnen.“
Na dann ist ja alles klar: Die Aktionen und Gesetzesänderungen, die die vorige Regierung von 2007 bis 2011 vorgenommen hat, stellen also, laut neuer Regierung „eine angemessene Antwort auf die Risiken der Energiearmut“ dar! Darüber hinaus sollen einkommensschwache Haushalte Energie sparen lernen – Problem gelöst, Energiearmut beseitigt! Da brat mir doch einer einen Storch!
Ginge es um ein Problem von Managern oder Multis, würde die Regierung, unter Antrieb der ‚Big Four‘ und anderer Lobbyisten, Kopf stehen um „eine adäquate Antwort für diesen Problembereich“ zu finden . Doch hier geht es „nur“ um einkommensschwache Haushalte, die nicht einmal Strom oder Gas zahlen können! Wohl selber schuld? Um wen es dabei geht (Zusammensetzung der Haushalte, Einkommenssituation), was die Ursachen von Energiearmut sind, wie die Situation der Betroffenen gelöst werden soll – kein Thema. Dass die Bekämpfung der Energiearmut ein Versprechen von LSAP und Grünen war, um auch sozial Minderbemittelten zu helfen: vergessen! Das war gestern; heute ist „verantwortungsvolles Regieren“; da gelten andere Maßstäbe!
Justin Turpel, 16. März 2015
PS. Die von der Regierung nicht beantworteten Fragen aus der parlamentarischen Anfrage vom 15. Januar 2015 werden wir selbstverständlich nochmals stellen.