Investmentfonds AATIF: Luxemburgs Rolle beim Landgrabbing

Weg von der staatlichen Entwicklungshilfe, hin zu Privatinvestitionen, hieß es beim G20 in Hamburg zu Afrika. Das Herzstück davon, der Luxemburger „Africa Agriculture and Trade Investment Fund“ (AATIF), ist ein Steigbügelhalter für Landraub und Verarmung. Ein Beispiel aus der hiesigen Fondsindustrie.

[Zuerst veröffentlicht in Woxx Nr. 1436 vom 11.8.2017 und auf Woxx.lu]

Armutsbekämpfung muss oberstes Ziel unserer Entwicklungspolitik sein, betont Kooperationsminister Romain Schneider immer wieder. Die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel sprach beim G20 in Hamburg gar von einem „Marshallplan für Afrika“ zur „Bekämpfung von Armut“. Es gelte, „mehr Arbeitsplätze und bessere Löhne“ für die Menschen vor Ort zu schaffen.

Bereits 2011 hatte das bundesdeutsche Entwicklungsministerium einen Investitionsfonds, den „Africa Agriculture and Trade Investment Fund“, kurz AATIF, gegründet und mit 75 Millionen Euro bezuschusst. Dieser Fonds wurde in Luxemburg angesiedelt, da hier die Bedingungen für solche Vorhaben besonders günstig sind. Steuerliche Erleichterungen sollen private Investoren zu Investitionen in Afrika mobilisieren. Die bundesdeutsche Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) sowie die Deutsche Bank, die mit der Verwaltung des Fonds beauftragt wurde, investierten jeweils 20 Millionen Euro in den AATIF;[1] inzwischen ist auch die Österreichische Entwicklungsbank mit 24 Millionen am AATIF beteiligt.[2]

Beim G20 in Hamburg hob Angela Merkel den AATIF als Herzstück ihres „Marshallplans für Afrika“ hervor, damit „Privatinvestitionen nach Afrika, in die Länder Afrikas, gehen“, ein Paradigmenwechsel, weg von der staatlichen Entwicklungshilfe, hin zu Privatinvestitionen. Wolfgang Schäuble ergänzt, dies sei „entscheidend, um mehr Dynamik zu bekommen: private Investition in Afrika fördern – und das ist neu!“. [3] [4]

Privatinvestitionen in Afrika – wozu?

„Beträchtliche Potenziale“ sieht die Deutsche Bank beim AATIF. „Die Landwirtschaft ist in diesen Ländern von großer wirtschaftlicher Bedeutung. Die Armut auf dem Land ist beträchtlich, und 50 Millionen kleine Farmen sind von Einnahmen aus der Landwirtschaft abhängig“, heißt es in ihrer Darstellung. „Ungenutzte Landflächen können urbar gemacht, neue Wasserressourcen genutzt, Erträge gesteigert, lokale Wertschöpfungsketten ausgebaut werden. So kann ein Beitrag dazu geleistet werden, den steigenden Lebensmittelbedarf in Afrika und weltweit zu decken.“ [5]

Ein Beispiel aus der Praxis: Ein Agrarunternehmen des auf Mauritius beheimateten Investors „Agrivision Africa“ hat in den vergangenen Jahren mehr als 17.000 Hektar Land in Sambia gekauft, Land, auf dem lokale Bauern vorher unter anderem Produkte für ihre Selbstversorgung anbauten. Dazu hat „Agrivision“ zehn Millionen Dollar vom Investmentfonds aus Luxemburg bekommen, um auf diesem Land, das einmal Ackerland lokaler Bauern war, Soja, Weizen und Mais auf industrielle Weise, zu einem großen Teil für den Export bestimmt, zu produzieren. Agravision profitiert dabei von einem Investmentschutz und -fördervertrag, der Exportrechte von bis zu 80 Prozent der Produktion sichert.[6]

„Sie haben uns unser Ackerland weggenommen“

Bis zum ersten Quartal 2017 hat der Investmentfonds AATIF insgesamt bereits 152 Millionen US-Dollar investiert, um so hundertausende Hektar Ackerflächen zu bewirtschaften. Mit der angekündigten „Bekämpfung der Armut“ (Schneider, Merkel) hat dies herzlich wenig zu tun. Im Gegenteil: den lokalen Bauern wurde Land weggenommen. „Mehr Arbeitsplätze und bessere Löhne“ gibt es auch nicht. Vielmehr wurde durch den massiven Landraub der lokalen Bevölkerung die Lebensgrundlage entzogen. „Während auf den neuen Farmen das Wasser praktisch pausenlos sprudelt, haben die Einwohner kein Recht auf sauberes Wasser. Von den Investitionen kommt nichts bei ihnen an“, hieß es in einem Bericht des ARD-Magazins „Monitor“ von Anfang Juli.

„Sie (die Weißen) haben uns unser Ackerland weggenommen. Nun haben wir nicht mehr genug zu essen. Wir müssen hungern, weil sie nicht zulassen, dass wir unser Land bewirtschaften.“ So der Bauer Route Mkosha aus Sambia.[7] Die Dorfbewohnerin Rebecca Mkambo fügt hinzu: „Unsere Arbeitsbedingungen sind nicht gut. Wir kriegen nur sehr wenig Lohn. Von den Männern ist keiner fest angestellt, auch von den Frauen nicht. Nach zwei Monaten Arbeit werden wir wieder entlassen.“ Das Schlimmste sei, dass sie ihre Familien und Kinder nicht mehr ernähren könnten, denn viele von ihnen hätten ihr Land verloren, kleine Ackerflächen, die sie seit langer Zeit bewirtschaftet hatten.

Der von der Bundeskanzlerin gerühmte und in Luxemburg angesiedelte AATIF bewirkt demnach genau das Gegenteil von dem was er vorgibt: Mehr statt weniger Armut, weniger Arbeitsplätze und weniger Einkommen für die Bevölkerung, die ihrer Existenzgrundlage beraubt worden ist. „Investoren aus dem Ausland haben per se kein Interesse an Entwicklung“, sagt Robert Kappel vom „German Institute of Global and Area Studies“: „Sie machen Profite, wollen Profite machen, wollen ihr Geld aus dem Land raus transferieren. Also wenn die Bundesregierung behauptet, es sei die Förderung von privaten Investoren aus Deutschland mit Entwicklung verbunden, so ist das eine Irreführung der Öffentlichkeit.“

Wieso Luxemburg?

Weshalb aber wurde der AATIF in Luxemburg angesiedelt? Ganz einfach, weil die Konstruktion des Fonds, die vor allem den privaten Investoren entgegen kommen soll, nach deutschen Recht überhaupt nicht möglich war;[8] dazu benötigte man das Investorenparadies Luxemburg.

Der AATIF ist nach dem sogenannten „Wasserfall-Prinzip“ strukturiert. Das heißt, es gibt drei Risikoklassen. „Das geringste Risiko tragen die privaten Investoren, das mittlere Risiko liegt bei Banken, das größte Risiko trägt das bundesdeutsche Entwicklungsministerium. Der Clou für die privaten Investoren: Macht der Fonds Gewinn, fließen ihnen zuerst die Gewinne zu. Bei Verlusten ist es genau umgekehrt, da haften zuerst die öffentlichen Gelder, also der Steuerzahler. Eine gewagte Konstruktion. So gewagt, dass der Fond hier aufgelegt werden musste, im Steuerparadies Luxemburg. Das gibt das Ministerium sogar unumwunden zu. Zitat: „Die Gründung eines strukturierten Fonds wie dem AATIF ist in Deutschland aufgrund eines hierfür fehlenden Rechtsrahmens nicht möglich.“

Demnach ist Luxemburg nicht nur ein Steuerparadies für Multis (siehe LuxLeaks), sondern fungiert auch als Steigbügelhalter für Landraub und Verarmung in Afrika.[9] Wer dazu beiträgt, dass die Existenzgrundlage von Menschen zerstört wird, darf sich nicht wundern, wenn diese Menschen Zuflucht in unseren Ländern suchen.

Steigbügelhalter für Landraub und Verarmung

Doch die Ausbeutung von Menschen, an der Luxemburg beteiligt ist, beschränkt sich nicht auf Afrika. In einer Studie für das Europaparlament untersucht Roman Herre von der Menschenrechtsorganisation FIAN zusammen mit dem „FoodFirst“ Informations- und Aktions-Netzwerk und dem niederländischen „Institute for Social Studies“ (ISS), auf welche Weise europäische Investoren beim globalen Landgrabbing involviert sind.[10] Dazu wurden 323 Fälle, in denen europäische Akteure, oft über komplexe Finanzstrukturen, an Landdeals im Ausmaß von 5,8 Millionen Hektar involviert sind, unter die Lupe genommen.[11]

Dabei stellte sich heraus, dass Firmen und Investmentfonds, die in Luxemburg angesiedelt sind – so die „Socfin“, „Adecoagro S.A.“, die „Kernel Holding S.A.“, „Trans Oil Enterprize Holding S.a.r.l“, „Rioforte Investments“, „Athanor Equities“, „Camposol S.A.“ und andere[12] – in zahlreichen Kontinenten und Ländern (unter anderem in Argentinien, Peru, Costa Rica, der Ukraine und Rumänien, Nigeria, Ghana, Mozambik, Sierre Leona, Kamerun, Guinea, Liberia, in Kambodscha) – am Raub von über 800.000 Hektar Land beteiligt sind. Somit gehört Luxemburg zu den am stärksten involvierten Ländern Europas, so Herre, wobei die 323 untersuchten Fälle „nur die Spitze des Eisbergs“ darstellen würden.

Die spärlichen Entschädigungsgelder, die für die Aneignung besagter Ländereien – davon zum großen Teil an Regierungen und keineswegs an betroffene Bauern oder lokalen Gemeinschaften – flossen, ändern nichts an der Tatsache, dass es hier um Landraub geht.

Landraub unter Luxemburger Schirmherrschaft hat übrigens Tradition: So das Landgrabbing der Arbed (jetzt Arcelor-Mittal) in Brasilien, das 1985 auf vortreffliche Weise in einem Video „1000 Hektar Land fir 5 Liter Schnaps“ der Billerfabrik und des „Centre pastoral en monde ouvrier“ (CPMO) dokumentiert wurde[13] – Das lässt auch an das Ende des 19. Jahrhunderts denken, als die Arbed sich im Minett große Landstriche aneignete, die jetzt entweder zu horrenden Preisen verkauft oder völlig verseucht der öffentlichen Hand zur Entgiftung überlassen werden.

Was verbirgt die Fondsindustrie noch?

So sieht also der viel gerühmte „return on invest“ aus, von dem Ex-Finanzminister Luc Frieden so gerne sprach, wenn es um Investitionen – pardon: Entwicklungshilfe – in Afrika ging. Die derzeitige Regierung hat diese Politik, trotz Regierungsteilnahme der Grünen, konsequent fortgesetzt und gar ausgebaut. Nicht nur mehrere Freihandelskommen mit dem afrikanischen Kontinent zeugen davon. Es wird höchste Zeit, dass genau untersucht wird, welche Investitionen aus Luxemburg welche Auswirkungen haben, welchen Schaden sie anrichten und auf welche Weise Luxemburg dazu beiträgt, „Entwicklungsländern“ und ihren Bevölkerungen die Lebensgrundlage zu rauben.[14]

Nichts darf darüber hinweg täuschen, dass der Schaden, den die beschriebene Politik anrichtet, nicht durch unsere „großzügige Entwicklungshilfe“, wie immer wieder betont wird,[15] wettgemacht werden kann.

Über die Gewissheit hinaus, dass Luxemburg an der Ausbeutung und Verarmung von unzähligen Menschen beteiligt ist, stellen sich einige Fragen. Insbesondere jene, was sich noch alles hinter der Fondsindustrie in Luxemburg versteckt.

LuxLeaks deckte auf, wie Beraterfirmen dank der Unterstützung der verschiedenen Regierungen Luxemburg zum Steuerparadies für multinationale Unternehmen ausgebaut haben. Die Panama-Papers zeigten teilweise, wie Luxemburg dazu beiträgt, Kapital in Offshore-Zentren zu verstecken und so dem Fiskus vorzuenthalten. Doch was sich alles hinter der Fondsindustrie und den darin investierten annähernd 4.000 Milliarden Euro verbirgt, sowie das Ausmaß des dadurch weltweit angestifteten Unheils, wurde bisher verschwiegen. Zu diesem Schweigen gehört auch, dass bis dato, mit Ausnahme der satirischen Wochenzeitung „de Feierkrop“,[16] kein Luxemburger Presseorgan den Bericht von „Monitor“ über den G20-Gipfel und den AATIF aufgegriffen hat.

Auch wenn es falsch wäre, alle Investmentfonds in einen Topf zu werfen, so ist es dennoch eine Tatsache, dass unzählige Fonds mehr als fragwürdig sind. Und darüber sollte endlich gesprochen werden.

Justin Turpel

[Zuerst veröffentlicht in Woxx Nr. 1436 vom 11.8.2017 und auf Woxx.lu]

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[1] https://www.aatif.lu
[2] www.derstandard.at/2000046964704/Neue-Studie-Wie-Europa-Landgrabbing-beguenstigt
[3] ARD-Sendung „Monitor“ vom 6. Juli 2017 „G20-Gipfel: Wer profitiert vom ‚Marshall-Plan‘ für Afrika?“, zu sehen unter https://www1.wdr.de/daserste/monitor/sendungen/afrika-politik-104.html
[4] Eine genauere Einschätzung von Professor Robert Kappel vom „German Institute of Global and Area Studies“ GIGA aus Hamburg zu dieser neuen Afrika-Politik, dem „Compact with Africa“ findet sich unter www.zeit.de/wirtschaft/2017-07/g20-plaene-afrika-robert-kappel-interview/komplettansicht
[5] https://www.db.com/cr/de/konkret-Africa-Agriculture-Trade-and-Investment-Fund.htm
[6] Im „Schuldenreport 2017“ von „erlassjahr.de“ und MISEREOR haben Roman Herre und Dr. Walter Ulbrich für FIAN Deutschland ein eigenes Kapitel zur genaueren Einschätzung des AATIF veröffentlicht: „Investmentfonds übernehmen Entwicklungspolitik: Der AATIF-Fonds als Entwicklungsfinanzierung für die Agrarindustrie“, zu lesen unter https://www.fian.de/fileadmin/user_upload/news_bilder/Schuldenreport_2017_AATIF.pdf
[7] Auszug aus der erwähnten ARD-Sendung „Monitor“ (siehe Fußnote 3), basierend auf Material von FIAN, dem „FoodFirst“ Informations- und Aktions-Netzwerk: www.fian.de
[8] „Diese Struktur (sog. Wasserfallprinzip), wäre in Deutschland so nicht möglich gewesen.“ „Die Tatsache, dass der Fonds als solcher keine Ertragsteuer in Luxemburg zahlen muss, ist als absoluter Vorteil zu werten.“ Aus der Antwort der Bundesregierung vom 17.11.2014 auf eine schriftliche Frage, unter www.dipbt.bundestag.de/doc/btd/18/032/1803258.pdf
[9] Die Begriffe Landgrabbing und Landraub werden hier synonym verwendet. Theoretisch umfasst das Landgrabbing sowohl die illegale, als auch die illegitime Aneignung von Land, insbesondere von Agrarflächen oder agrarisch nutzbaren Flächen, oft durch wirtschaftlich oder politisch durchsetzungsstarke Akteure (cf. https://de.wikipedia.org/wiki/Land_Grabbing); während der Landraub nur die illegale Aneignung betrifft. Durch die synonyme Benutzung der Begriffe Landgrabbing und Landraub verzichten wir ganz bewusst auf diesen Unterschied; siehe dazu auch die betreffende Studie unter Fußnote 10.
[10] „Land grabbing and human rights: The involvement of European corporate and financial entities in land grabbing outside the European Union”, 10. Mai 2016, unter https://www.tni.org/files/publication-downloads/expo_stu2016578007_en.pdf; eine Kurzfassung auf Deutsch „Landgrabbing und Menschenrechte: Die Rolle von EU-Akteuren im Ausland“ findet sich unter www.fian.de/fileadmin/user_upload/dokumente/shop/Land_Grabbing/13_12_FIAN_Sambia_DE.pdf; eine Kurzfassung befindet sich unter https://www.fian.de/fileadmin/user_upload/dokumente/shop/Land_Grabbing/2017_Landgrabbing_und_Menschenrechte.pdf
[11] www.derstandard.at/2000046964704/Neue-Studie-Wie-Europa-Landgrabbing-beguenstigt
[12] Zur Datenlage der Studie, siehe www.landmatrix.org; sortiert nach den jeweiligen investierenden Ländern: www.landmatrix.org/en/get-the-detail/by-investor-country/luxembourg
[13] „1000 Hektar Land fir 5 Liter Schnaps“ von Dany Stein und Guy W. Stoos (Billerfabrik, 1985) zusammen mit Fraenz Marcus und Angelika Matulla (Centre pastoral en monde ouvrier, CPMO). Zum Inhalt des Film siehe auch den Artikel von Fernand Fehlen im Forum unter https://www.forum.lu/wp-content/uploads/2015/11/1761_86_Fehlen.pdf
[14] Eine entsprechende Studie von Rainer Falk aus dem Jahre 2009 (unter http://www.weltwirtschaft-und-entwicklung.org/downloads/etudefalk.pdf) wurde wegen angeblich falscher oder ungenügend belegter Daten scharf kritisiert; es wäre an der Zeit, diese Studie auf Basis gesicherter Daten neu aufzulegen.
[15] 2017 zahlte das Großherzogtum 353 Millionen Euro, was 1,02 Prozent des Bruttonationaleinkommens (BNE) entspricht. www.lessentiel.lu/de/luxemburg/story/Vize-Weltmeister-bei-der-Entwicklungshilfe-27401420
[16] De Feierkrop, Nr. 1129 vom 21. Juli 2017

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