[Artikel in forum 328 vom 5. April 2013]
Als die forum-Redaktion mich fragte, ob ich bereit wäre einen Artikel über meine SREL-Akte zu schreiben, zögerte ich. Nachdem der Geheimdienst mich jahrelang bespitzelt hat, wollte ich dessen Beobachtungen nun nicht auch noch öffentlich zur Schau zu stellen. Andererseits finde ich es dringend notwendig, die Methoden der luxemburgischen Staatssicherheit offen zu legen und somit dazu beizutragen, diese zu stoppen. Deshalb hier mein Beitrag.
Mitte Dezember 2012 forderte ich beim Präsidenten der SREL-Kontrollkommission schriftlich Einsicht in meine Akte beim Spitzeldienst. Die Akte, die mir am 7. März 2013 ausgehändigt wurde besteht aus 24 A4-Blättern und umfasst den Zeitraum von Mitte 1974 bis Ende 1989.
Beim Betrachten fällt sofort die identische Gestaltung der Akte mit denjenigen der Stasi in Deutschland oder den Akten in der Schweiz auf (1), die sich gleichen wie ein Ei dem anderen. Aus der Mitteilung der Kontrollbehörde (Schreiben vom 4. März 2012) geht hervor, dass es sich dabei um die „historische“ Akte handelt. Eine aktuelle Akte würde laut SREL nicht existieren, was die Kontrollbehörde jedoch noch überprüfen möchte „sobald die Versiegelung der operationellen Datenbanken aufgehoben ist.“
Weiterhin heißt es im Schreiben der Kontrollbehörde, dass „die historische Akte aus Fotokopien von Dokumenten (bestehe), die von Mikrofilmen gezogen wurden.“ „Der Dienst“ (der Spitzeldienst) habe erklärt, er verfüge „bei den historischen Akten nicht mehr über die Originaldokumente“ und „aus technischen Gründen“ seien „verschiedene Kopien schwer lesbar.“ In der Tat – und dies ist die erste Feststellung – sind Teile der Akte nur sehr schwer und manchmal überhaupt nicht zu entziffern (wobei man sich fragen darf, ob dies nicht gewollt ist).
Umfassende Beobachtung und Beschattung
Das erste Dokument der Akte steht unter dem Titel „Betrifft: Identifizierung von luxemburgischen Trotzkisten“. Dabei handelt es sich um einen Beobachtungsbericht vom 19. Juli 1974 (siehe nachstehenden Auszug).
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Auszug Beobachtungsbericht vom 19. Juli 1974, Nummer 73435
„Am 29. Mai 1974, gegen 18,30 Uhr hielt der Personenkraftwagen der Marke [….], gehörend [….] vor dem Sitz der Ligue Communiste Révolutionnaire. Nachdem der Fahrer das Fahrzeug verlassen hatte, klingelte er zu zwei verschiedenen Malen an der Eingangstüre des von der LCR gemieteten Immöbels. Nach ungefähr einer halben Stunde verließ eine junge Mannsperson mit langen dunklen Haaren in Begleitung einer jungen Frauensperson das erwähnte Gebäude, und beide stiegen in das Fahrzeug TURPEL.
Gemäss Angaben [xxxxxxxxxx] sollen diese beiden Personen in letzter Zeit stets die Nächte im LCR-Lokal verbracht haben.
Am 1. Juli 1974 fuhr der Combiwagen mit der Ordnungsnummer 96429, der Marke VW, gehörend der JEUNESSE ETUDIANTE CATHOLIQUE, 23, Avenue Gaston Diderich, vor dem Lokal der LCR vor. Kurze Zeit später traten die beiden bereits erwähnten Personen aus dem Lokal. Letztere trugen Schlafsäcke, Bettgedeck sowie einen Gasherd bei sich. Nachdem sie diese Gegenstände in dem Combiwagen verstaut hatten, fuhren sie in Richtung Bahnhof ab. Da die beiden jungen Leute an den folgenden Tagen nicht mehr beobachtet werden konnten, ist anzunehmen, dass sie sich eine andere Unterkunft besorgt haben.
Am 4. Juli 1974 kurz nach 15.00 Uhr, wurde die bereits mehrmals erwähnte junge Mannsperson erneut gesehen, als dieselbe aus dem Personenkraftwagen der Marke FIAT mit der Nummer B 0826, stieg. Dieser Wagen ist Eigentum von TURPEL Justin, Chemiker bei der Firma F.A.N. International S.à r.l., geboren am [….], Sohn von [….] und [….], wohnhaft zu [….]. Anscheinend sollen noch zwei weitere Militanten der LCR an dieser Adresse aufhaltsam sein, und zwar [….].“
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Der dreiseitige Beobachtungsbericht gibt an, dass das Ziel der Bespitzelung die Identifizierung einer politischen Gruppierung, in diesem Fall „von luxemburgischen Trotzkisten“, gewesen sei. Zu diesem Zweck wurde das Lokal der Ligue Communiste Révolutionnaire (LCR) systematisch überwacht und es wurden über die dabei beobachteten Personen individuelle Akten angelegt.
Die meisten mit der LCR in Verbindung gebrachten Personen wurden unter der Nummer 31 (sowie einer fortlaufenden vierstelligen Nummer) registriert. Meine Akte und die damit verbundene Karteikarte trägt die Nummer 31/1122. Die in meiner Akte oft zitierte Akte vom inzwischen verstorbenen Jos Wirth trägt die Nummer 31/1048 und die von Abbes Jacoby – nach eigenen Angaben auf Facebook am 10.1.2013 – die Nummer 31/1292.
In meiner Akte befinden sich eine ganze Reihe von Beobachtungsberichten des belgischen Spitzeldienstes (über Sitzungen in Brüssel, Louvain-la-Neuve, Antwerpen usw.) sowie Antwortschreiben des hiesigen Spitzeldienstes an die ausländischen Dienste, mit Informationen zu den in deren Berichten aufgeführten Personen. Dies alles wurde systematisch in den individuellen Karteikarten der Betroffenen registriert.
Auf der Kopie eines der Beobachtungsberichte aus Belgien war – möglicherweise irrtümlich – zuerst die Nummer 30/5485 vermerkt worden, diese wurde dann aber durchgestrichen und mit der Nummer 31/1122 versehen. Es ist mir nicht klar, auf welche Organisation sich die Nummer 30 bezieht, die Vorgehensweise belegt jedoch, dass jede beobachtete Organisation unter einer gesonderten Nummer registriert wurde.
Systematische Bespitzelung von Organisationen und Personen
Demnach steht fest, dass es sowohl Akten über Organisationen als auch über Personen gibt. Alle beschatteten Personen wurden mit einer individuellen Nummer gekennzeichnet, die an die Nummer der jeweiligen bespitzelten Organisation angehängt wurde (Beispiel: LCR = 31; meine individuelle Nummer = 31/1122).
Es wäre also ein Leichtes (für den parlamentarischen Untersuchungsausschuss oder die Kontrollbehörde z. B.) die Liste der Organisationen mit den dazugehörigen Nummern aus dem historischen Archiv herauszufiltern um herauszufinden, welche Organisationen aus welchem Bereich und zu welchem Zweck beobachtet wurden. Bei den 30, 40 oder mehr bespitzelten Organisationen handelt es sich sicherlich nicht nur um politische Organisationen, sondern auch um Umweltverbände, Bürgerinitiativen, Jugend- und Frauenorganisationen, bis hin zu Bewegungen gegen Todesstrafe, Folter und … Bespitzelung.
Bei ihrem ersten Besuch des SREL-Archivs konnten die Mitglieder des parlamentarischen Untersuchungsausschusses sich selbst von der Existenz von Karteikarten und Dossiers über derart unterschiedliche Organisationen vergewissern. Deshalb muss man sich fragen, wieso der Untersuchungsausschuss nicht selbst die Dossiers der beobachteten Organisationen systematisch einsieht, um Aufschluss über die Ermittlungsmethoden des Spitzeldienstes zu erhalten – immerhin ist dies der offizielle Sinn und Zweck der Arbeit des Untersuchungsausschusses. Auch hat jede bespitzelte Organisation und jede beschattete Person das Recht zu erfahren, was über sie gespeichert und verbreitet wurde.
Darüber hinaus wäre es durchaus möglich, auf Grund der fortlaufenden Nummern, eine Liste aller registrierten Personen zu erstellen (so wie dies beispielsweise die parlamentarische Untersuchungskommission der Schweiz im Jahre 1989 tat), und alle betroffenen Bürger/innen über die Existenz ihrer Akte in Kenntnis zu setzen und sie über die Möglichkeit diese einzusehen zu informieren.
Fehlende Berichte und Unterlagen
Die Kopie meiner Karteikarte enthält rund 60 datierte und referenzierte Eintragungen, vornehmlich Auskundschaftungen über Versammlungen, Konferenzen, Meetings, Kandidaturen bei Wahlen und Demonstrationen, aber auch über sonstige Aufenthalte, über Wohnungswechsel, Beruf, Arbeitsplatz bis hin zu Kostenabrechnungen. Die meisten Einträge tragen die Referenznummer des entsprechenden Berichtes: Beschattungsberichte („rapport de filature“ mit der jeweiligen Nummer), Überwachungsberichte („rapport de surveillance“ mit der jeweiligen Nummer), Berichte und Anfragen ausländischer Dienste („service belge“) von Einwohnermeldeämtern („Dimo“) oder Zeitungsartikeln (Tageblatt). Dabei wurden verschiedene Hinweise unkenntlich gemacht.
Mit Ausnahme einiger Berichte und Anfragen des belgischen Spitzeldienstes wurden mir die aufgelisteten Berichte nicht ausgehändigt. Der größte Teil der Dokumente wurde mir demnach nicht zugestellt, was auch erklärt, warum die ausgehändigte Akte nur 24 Seiten umfasst. Dabei möchte ich wissen, was in den fehlenden Berichten über mich geschrieben steht: die Kopie einer Karteikarte, auf der (teilweise) aufgelistet ist welche Berichte über meine Person existieren, genügt mir nicht, ich möchte Einsicht in alle Berichte meiner Akte. Eine solche Einsicht ist den Bürgern/innen in Deutschland (Stasi- Akten) und der Schweiz gewährt worden, und es gibt keinen Grund in Luxemburg das fundamentale Recht auf Einsicht in alle Unterlagen anders auszulegen.
Staatsfeinde
In der gesamten Akte ist nichts über die Ursache der Bespitzelung vermerkt – allein die Tatsache, „aktives Mitglied der LCR“ zu sein, schien zu genügen. Im Bericht einer Sitzung der europäischen Politbüros der 4. Internationale vom 3. bis zum 9. November 1978 in Brüssel (mit Namensliste), erfragt der belgische Geheimdienst Informationen zu den „politisch subversiven Aktivitäten“ der Teilnehmer. Worin diese „politisch subversiven Aktivitäten“ bestehen, wird nicht erklärt, es wird lediglich festgestellt dass „dort“ beschlossen worden sei, „an den Europawahlen teilzunehmen“ und „einen europäischen Kongress der Arbeiterorganisationen abzuhalten“, bei dem „eine richtige Antikrisenpolitik“ festgelegt werden soll. – Echt subversiv … !
Dem Gesetz vom 30. Juli 1960 entsprechend sollte der Spitzeldienst die notwendigen Informationen besorgen, um die äußere Sicherheit des Staates zu gewährleisten (wobei nicht getrennt wird zwischen äußerer und innerer Sicherheit). Demnach wurden alle aufgeführten Organisationen als Gefährdung der Sicherheit des Staates eingestuft; sie wurden zu potentiellen Staatsfeinden erklärt, um so umfassend und grenzüberschreitend beobachtet und bespitzelt zu werden …
Ein weit gesponnenes Beschaffungsnetz
Die Art und Weise der Informationsbeschaffung ist genau so umfangreich wie vielfältig. In meiner Akte wird geflissentlich versucht „interne“ Quellen zu verbergen. So ist beispielsweise in einem „Informationsbericht über Kommune von LCR-Militanten“ vom 6.1.1978 aus dem „Gemeindeamt Luxemburg“ vermerkt, dass diese Informationen auf „persönlicher Beobachtung“, auf „Berichten“ und „mündlichen Informationen“ beruhen.
Aus eigener Erfahrung weiß ich (ich arbeitete zu jenem Zeitpunkt bei der Gemeinde Luxemburg im Einwohnermeldeamt) dass die Mitglieder des Spitzeldienstes dort völlig freien Zugang zu den Daten und Karteikarten der Bevölkerung hatten und nach Belieben herumschnüffeln konnten. Als Gemeindebeamter im Einwohnermeldeamt sah ich also die hauptberuflichen Mitarbeiter des Spitzeldienstes einzeln defilieren um ihre „Recherchen“ zu machen, und konnte diese anschließend bei Demonstrationen, Konferenzen und Meetings identifizieren. Dies führte zu einem erheblichen Verschleiß an verdeckten Ermittlern und schlussendlich zu meiner Versetzung in eine Dienststelle in einem entlegenen Gebäude (was allerdings in der mir übermittelten Akte nicht vermerkt ist). Neben den verdeckten hauptberuflichen Ermittlern des Spitzeldienstes gab es auch „informelle Mitarbeiter“, deren Namen jedoch in meiner Akte zugeklebt sind.
Welch ein Aufwand!
Die umfassende Bespitzelung allein schon der LCR war ungeheuer aufwendig: Beobachtung des Lokals, von Versammlungen, Meetings, Konferenzen, Manifestationen, … nebst bisher noch nicht eingestandenen Abhöraktionen. Und auf diese Weise wurden zig Organisationen und hunderte, wenn nicht tausende von Personen überwacht und bespitzelt – welch eine Vergeudung von öffentlichen Mitteln!
In diesem Zusammenhang mutet folgende Aufforderung von Staatsminister Gaston Thorn in einem Brief an den Innen- und Justizminister Eugène Schaus im Oktober 1972 wie ein Witz an: „Je saisis cette occasion pour attirer votre attention sur la nécessité d’une coordination étroite de toutes les activités de lutte contre le terrorisme. Sur le plan interne, j’attache beaucoup d’importance à ce que les moyens restreints dont nous disposons soient utilisés de façon la plus efficace possible. S’il est bien vrai que, ratione materiae, et conformément à la décision du Conseil de Gouvernement, la responsabilité principale vous appartient en tant que titulaire des Ministères de la Justice et de l’Intérieur, il faut cependant veiller à exploiter au mieux les nombreux renseignements qui rentrent par le canal du Service de Renseignements de l’État, dépendant de M. le Ministre d’État.“ (2) Offensichtlich war es eine bewusste Entscheidung die „beschränkten Mittel, über die wir verfügen“ „im Kampf gegen den Terrorismus“ vorrangig zur Überwachung gerade dieser Organisationen und Aktivisten einzusetzen!
Von der Betriebsbesetzung zum terroristischen Anschlag
Erschreckend ist in diesem Zusammenhang die Anfrage des belgischen Spitzeldienstes vom 25. Juni 1985 betreffend die „Enquête sur les attentats en Belgique et au Grand-Duché du Luxembourg“. In dieser heißt es: „Nous apprenons que les deux personnes mentionnées ci-dessous (Justin TURPEL , Jos WIRTH) et membres de la Ligue Communiste Révolutionnaire, section Luxembourgeoise de la IVe Internationale – Secrétariat Unifié – disposaient d’importantes sommes d’argent à l’époque de la fermeture du siège M.M.R.A. (Minière Métallurgique Rodange-Athus), disposaient de plans détaillés du réseau ferroviaire local et avaient connaissance de moyens en vue de provoquer des déraillements. Tout renseignement concernant ces personnes serait apprécié.“
Über Jos Wirth und mich wurde im Zusammenhang mit den Attentaten in Belgien („les tueurs fous du Brabant“) und in Luxemburg („Bommeleeër“) ermittelt: Wir wurden verdächtigt diese zu finanzieren und Pläne zur Entgleisung von Zügen zu schmieden! Zu jener Zeit beteiligten wir uns beide an der Besetzung der MMRA in Rodange und organisierten – was wohl der eigentliche Grund für die Beschattung gewesen sein dürfte – Solidaritätsaktionen.
Es bleibt unklar, ob der belgische Geheimdienst uns auf eigene Initiative hin in Verbindung mit den Attentaten brachte, oder ob dies als Antwort galt auf die Anfrage des Direktors des hiesigen Spitzeldienstes vom 29. Mai 1985 an alle ausländischen Dienste, bei der Suche nach terroristischen Organisationen behilflich zu sein. (3)
Am 18.7.85 wurde die belgische Information „dringend“ an den damaligen Kommandanten der Gendarmerie, Colonel Wagner, weitergeleitet; dieser war zu jener Zeit, zusammen mit dem Spitzeldienst, für Untersuchungen in Sachen „Bommeleeër“ zuständig. Am 2. Dezember 1985 ersuchte der belgische Spitzeldienst erneut um schnellstmögliche Antwort und am 5. Dezember 1985 antwortete der hiesige Spitzeldienst, dass über den bisherigen Austausch zwischen den beiden Diensten hinaus keine weiteren Informationen über die genannten Personen vorlägen.
Auf welchen Fakten die erhobenen Vorwürfe beruhen, welche Untersuchungen durch den Kommandanten der Gendarmerie durchgeführt wurden und wem die (falschen) Informationen darüber hinaus mitgeteilt wurden ist in der mir zugestellten Akte nicht zu erfahren.
Die verschwundenen Akten?
Hiermit möchte ich zu einer letzten Feststellung kommen, nämlich die der fehlenden Akten. Es gab zahlreiche Aktivitäten über die die hiesige Staatssicherheit zweifellos Bescheid wusste (und die zum Teil auch beobachtet wurden), die aber in meiner Akte weder als Dokumente noch als Anmerkung in der Karteikarte erwähnt sind. Hierfür kann es nur die Erklärung geben: nämlich dass diese Dokumente anderweitig aufbewahrt sind. Zu besagten Aktivitäten zählen beispielsweise die Organisation der großen Demonstration gegen Cattenom, die Solidaritätsaktionen mit den streikenden britischen Bergarbeitern (1984-1985) oder der Indexstreik (1982) an deren Organisation wir beteiligt waren. Da kaum anzunehmen ist, dass die Staatssicherheit diese nicht überwachten, bestehen hierzu sicherlich separate Dossiers, wenn nicht beim Spitzeldienst, so doch bei Gendarmerie oder Polizei.
1975 wurde ein permanentes Sicherheitskomitee geschaffen, das zur „Bekämpfung des Terrorismus“ im In- und Ausland eng mit Gendarmerie, Polizei, Armee und Spitzeldienst zusammen arbeiten sollte. Wenn nun die „historischen“ SREL-Akten geöffnet werden, dann dürfen die Akten dieser Dienste, mit denen der SREL eng zusammengearbeitet hat, nicht ignoriert werden. Für die Betroffenen ist es schließlich egal, ob ihre Akten im Keller des SREL, der Armee oder der Polizei gelagert sind …
Besteht wirklich ein Recht auf Einsicht?
Die luxemburgische Gesetzgebung sieht das Recht auf persönliche Einsicht der Akten nicht direkt vor, laut Gesetz besteht das Recht auf Einsicht lediglich über die Aufsichtsbehörde. Diese überprüft die Akte, nimmt die erforderlichen Verbesserungen vor und informiert dann den Betroffenen, dass die Akte nichts Gesetzeswidriges mehr enthält. Auch der Untersuchungsrichter hat, im Falle eines begründeten Verdachts, das Recht auf Einsicht, ebenso wie der Untersuchungsausschuss des Parlaments.
Indem die Aufsichtsbehörde nun den Betroffenen eine Kopie des „historischen“ Teils ihrer Akte weitergibt, überschreitet sie die gesetzliche Mindestvorschrift. Und dies aus gutem Grunde: über dem Gesetz stehen nämlich die elementaren Menschenrechte! Der Zugang zu den von der Staatsicherheit gespeicherten Informationen wurde in der BRD vom Verfassungsgericht als verfassungsmäßig anerkanntes Grundrecht definiert und deshalb anschließend ausdrücklich im Gesetz über die Unterlagen der Staatssicherheit der ehemaligen DDR festgeschrieben. Dieses Grundrecht besteht nicht nur, was die Stasi-Akten in Deutschland betrifft, sondern wurde auch bei der Einsicht in die Staatsschutzakten in der Schweiz ausdrücklich anerkannt.
Dieses Recht auf Einsicht wird begründet durch das „Recht auf Aufklärung der Einflussnahme von Staatssicherheitsdiensten auf das persönliche Schicksal“. Jeder Mensch hat demnach das elementare Recht zu wissen, was wo über ihn verbreitet wurde. Deshalb hat jede/r einzelne Bürger/in „das Recht auf Auskunft, Einsicht in Unterlagen und Herausgabe von Duplikaten von Unterlagen.“ Dieses Recht muss auch in Luxemburg umfassend anerkannt werden.
Und jetzt?
Meiner Meinung nach stehen zwei dringende Initiativen an.
Erstens: Jeder Bürger soll, unabhängig von seinem Wohnsitz, darüber informiert werden (4), ob über ihn eventuell Akten und Unterlagen in Verbindung mit der Staatssicherheit (egal ob bei SREL, Polizei, Armee, Sicherheitskomitee, …) existieren und das Recht auf Auskunft, Einsicht und Herausgabe von Duplikaten dieser Unterlagen zugesprochen bekommen. (5) Eigentlich müssten die Grundrechte der Bürger/ innen genügen um dies in die Wege zu leiten; um diesbezüglich alle Unklarheiten zu beseitigen, wäre es angebracht kurzfristig ein entsprechendes Gesetz zu verabschieden (vorausgesetzt dass in der Zwischenzeit keine Akten verschwinden). Dafür müssten der parlamentarische Untersuchungsausschuss (6), die Kontrollbehörde und die Justiz gemeinsam sorgen. Ob dies allerdings geschieht, solange nicht eine Bürgerbewegung der Betroffenen sie dazu bewegt, scheint zweifelhaft.
Zweitens: eine unabhängige Historikerkommission soll damit beauftragt werden, sich mit dem SREL-Archiv (und seinen Anhängen in anderen Dienststellen) zu beschäftigen, um so die historische, politische und juristische Aufarbeitung der Tätigkeiten des hiesigen Staatssicherheitsdienstes zu gewährleisten. Auch deshalb ist es dringend erforderlich, den SRELVerantwortlichen das Archiv zu entziehen, letzteres abzusichern und vor bewusster oder unbewusster Zerstörung zu bewahren.
Zur Zukunft des Spitzeldienstes nur so viel: während die meisten Mitglieder des Untersuchungsausschusses den Spitzeldienst bloß „reinigen“ und modernisieren, d. h. wieder „salonfähig“ machen und für neue Aufgaben der Staatssicherheit rüsten wollen, bin ich der Meinung, dass der Spitzeldienst abgeschafft gehört. Nicht nur weil er überflüssig, sondern gemeingefährlich ist, denn solange er bestehen bleibt, wird er immer wieder eine demokratie- und bürgerfeindliche Eigendynamik entfalten. Als Instrument zur Wahrung der Macht der Herrschenden ist er abzuschaffen, als Instrument zur Wahrung der Grundrechte der Bürger inklusive ihrer Sicherheit wird er auch nach einer Reform nicht taugen.
Und eine einfache Entschuldigung, wie sie Abbes Jacoby, parlamentarischer Sekretär der Grünen Fraktion, auf Facebook fordert, genügt keineswegs. Vielmehr gilt es die richtigen Konsequenzen zu verlangen: auflösen! Dann wäre der Spitzeldienst Geschichte und auch die aktuellen Akten würden zu historischen Akten und könnten den Betroffenen zugänglich gemacht werden …
Justin Turpel
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(1) Siehe dazu auch den Artikel von Pia Oppel über die Staatsschutzakten von Victor und Marianne Fenigstein: „An alle Schweizerbürger ….“, in forum Nr. 327.
(2) Siehe „Rapport de la Commission de Contrôle parlementaire du Service de Renseignement de l’État sur le rôle du service de renseignements dans le cadre des enquêtes relatives à l’affaire des attentats à l’explosif des années 1984 à 1986“ vom 7. Juli 2008, http://www.gouvernement.lu/salle_presse/actualite/2008/07-juillet/10-chd_commission/bomm.pdf
(3) Ibid.
(4) 1990 wurden alle Schweizerbürger, also auch Auslandsschweizer, schriftlich darüber informiert, dass falls sie glaubten „fichiert“ zu sein, sie das Recht auf einen Antrag zur Einsicht in ihre Akte beim Schweizer Staatsschutz und der schweizerischen Bundespolizei hatten. (siehe Artikel von Pia Oppel in forum Nr. 327).
(5) Das „Recht auf Auskunft, Einsicht und Herausgabe von Duplikaten dieser Unterlagen“, also drei getrennte Möglichkeiten (Recht auf Auskunft, Recht auf Einsicht und Recht auf Herausgabe von Duplikaten von Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes), wurde so im deutschen Gesetz über die Stasi-Akten festgeschrieben und in der Schweiz gleichfalls anerkannt.
(6) Fragwürdig ist ohnehin wie in einem „unabhängigen“ parlamentarischen Untersuchungsausschuss dieselben Personen sitzen dürfen, die es als Mitglied der parlamentarischen Kontrollkommission des Spitzeldienstes versäumt haben, die Aktivitäten der SREL unter Kontrolle zu halten.