Ist es uns egal, was in unserem Namen mit unseren Geldern geschieht? – Seit 2001 wird ein großer Teil der Reserven der öffentlichen Pensionskassen Luxemburgs an der Börse in Aktien und Obligationen investiert. Diese Reserven belaufen sich auf derzeit immerhin mehr als 16 Milliarden Euro. Dabei werden immer wieder Investitionen getätigt, die umwelt- und klimaschädlich sind, oder im Widerspruch zu elementaren Menschenrechten stehen. Über den damit angerichteten Schaden wird meist hinweg geschaut. Höchste Zeit, dies zu ändern!
Regelmäßig wird der öffentliche Pensionsfonds Luxemburgs dabei erwischt, wie er in menschenrechtsverletzende, klima- und umweltschädigende oder anderweitig schädliche Projekte und Unternehmen investiert. So auch jetzt wieder, wo wir feststellten mussten, dass der „Fonds de compensation commun au régime général de pension“, wie er offiziell heißt, über direkte Anteile in Höhe von 12 Millionen Euro an den Bau- und Betreibergesellschaften der Dakota Access Pipeline verfügt.
Investitionen in die Dakota Access Pipeline
Weltweit gibt es massive Proteste gegen den Bau der Dakota Access Pipeline. Die Pipeline soll täglich 470.000 Barrel Rohöl von Tausenden von Fracking-Bohrungen in North Dakota quer durch vier US-Staaten bis nach Illinois transportieren. Sie bedroht dabei die Wasserversorgung von Millionen Menschen und dürfte das Klima massiv und dauerhaft schädigen. Zudem führt sie durch Land, das dem indigenen Stamm der Standing Rock Sioux als heilig gilt – und zwar ohne dessen Zustimmung. ([1]) Die weltweite Mobilisierung gegen dieses menschen- und umweltverachtende Projekt richtet sich derzeit verstärkt – und mit zunehmenden Erfolg – gegen die Banken und Finanzinstitute, welche die Finanzierung der Dakota Access Pipeline gewährleisten. ([2]) ([3])
Der öffentliche Pensionsfonds Luxemburgs (FdC) unterstützt die Bau- und Betreiberfirmen der Dakota Access Pipeline mit über 12 Millionen Euro. Dem zuletzt zugänglichen Jahresbericht vom 31. Dezember 2015 zufolge hält der Fonds direkte Anteile an:
- Energy Transfer Partners: 3 Mio EUR
- Sunoco Logistic Partners: 1,9 Mio EUR
- Phillips 66: 4,1 Mio EUR
- Marathon Petroleum Corp. und Marathon Oil Corp.: 2,9 Mio EUR
- Enbridge Energy Management LLC: 0,06 Mio EUR
Zudem stellt der öffentliche Pensionsfonds Luxemburgs zahlreichen Banken – darunter auch die BNP Paribas, an der der Luxemburger Staat seit der Bankenrettung 2008 Aktien hält –, die an der Finanzierung der Dakota Access Pipeline beteiligt sind, hohe Kapitalsummen zur Verfügung. ([4]).
Durch all dies unterstützt der öffentliche Pensionsfonds Luxemburgs Unternehmen, die, zu Lasten von Mensch und Umwelt, gegen anerkannte soziale und ökologische Standards verstoßen. Der Fonds hat die BNP Paribas gar zum Verwalter eines größeren Teils der Investitionen bestimmt. ([5]) Die Citibank, größter Geldgeber der Dakota Access Pipeline, sowie vorher die ING, ebenfalls stark in den Bau der Pipeline involviert, dienen als Gesamtverwalter und Depotstelle für den Fonds.
Die Gelüste der Finanz- und Bankenlobby
Doch wie kommt es dazu, dass der öffentliche Pensionsfonds Luxemburgs immer wieder in solch dubiose Geschäfte verwickelt ist?
Jahrzehntelang machten Industriellenföderation, Bankenvereinigung und Fondsindustrie Druck, damit ihnen die Gelder aus der öffentlichen Pensionskasse Luxemburgs zur Verfügung gestellt werden. Schließlich handelt es sich dabei um riesige Summen; in der Tat stiegen die öffentlichen Pensionsreserven in Luxemburg von 664 Millionen im Jahr 1980 auf rund 4 Milliarden Euro um die Jahrtausendwende und stellen seit Mitte der Neunzigerjahre fast ein Viertel des Bruttoinlandsprodukts Luxemburgs dar. Diese riesige Kapitalmasse wollten Industrielle und Bankiers sich unter den Nagel reißen.
1999 zeigte ihre Lobbyarbeit Erfolg, als CSV und DP im Koalitionsprogramm der neuen Regierung beschlossen, den Gelüsten der Finanz- und Wirtschaftslobby auf die öffentlichen Pensionsgelder Rechnung zu tragen. PriceWaterhouseCoopers wurde mit einer Studie beauftragt, die als Basis für das Gesetz vom 6. Mai 2004 diente. Dieses hielt fest, die Reserven der öffentlichen Pensionskasse mittels eines „Fonds de compensation commun au régime général de pension“ (FdC) ([6]) an der Börse zu 26% in Obligationen (vorher 11%) und zu 20% in Aktien (vorher 0%) anzulegen, während der Anteil der bisherigen Investitionen in Immobilien von 6% der Reserven unverändert bleiben sollte ([7]). Mit der Verwaltung dieses Fonds in Form einer „Société d’Investissement à Capital Variable – Fonds d’Investissement Spécialisé“ (SICAV-FIS), wurde ein „sozialpartnerschaftlich“ zusammengesetzter Verwaltungsrat beauftragt, dem die Dienste von Finanzverwaltern zur Investitionsgestaltung beigeordnet wurden.
Von Skandal zu Skandal
Erstmals 2010 wurde bekannt, dass die Pensionsreserven in höchst dubiose Betriebe und Gesellschaften investiert werden. So deckte der damalige déi Lénk-Abgeordnete André Hoffmann auf, dass der Fonds in Firmen investiert hatte, die Streumunition sowie Landminen herstellten.
Daraufhin wurde 2011 vom Verwaltungsrat des Fonds beschlossen, beim Anlegen der Gelder soziale Kriterien walten zu lassen. Fortan sollte nicht mehr in Gesellschaften und Betriebe investiert werden, die sich im Widerspruch zu von Luxemburg unterzeichneten Konventionen befanden und dementsprechend gegen Menschenrechte, Arbeitsrecht, Umweltverträglichkeit, oder allgemein sozial verantwortliches Handeln verstießen. Die GES-Invest ([8]) wurde damit beauftragt, eine „schwarze Liste“ und eine „graue Liste“ zu erstellen und zu aktualisieren: erstere für Betriebe und Gesellschaften, die auf Grund dieser Kriterien nicht für Investitionen aus dem Luxemburger Pensionsfonds infrage kommen, letztere für Betriebe und Gesellschaften, die ihre Investitionspolitik überdenken müssten, um sich nicht auf der „schwarzen Liste“ wiederzufinden. Trotzdem kam es immer wieder zu Skandalen, beispielsweise 2011, als Investitionen in die Betreiberfirma des havarierten Atomreaktors von Fukushima, Tepco, bekannt wurden.
2015 demonstrierten die TeilnehmerInnen und UnterstützerInnen von Votum Klima gegen bedeutende Investitionen des luxemburgischen Pensionsfonds in Unternehmen, die in den Bereichen fossile Energien und Atomenergie tätig sind. ([9]) Die Organisationen forderten die Regierung auf, kurzfristig keine weiteren Investitionen in Fossil- und Atomenergie vorzunehmen und mittelfristig ein Umschichten des Portfolios zu Gunsten erneuerbarer Energien in die Wege zu leiten.
Jetzt müssen wir jedoch feststellen, dass der öffentliche Pensionsfonds Luxemburgs nicht nur in Banken investiert, die das klimaschädliche Projekt der Dakota Access Pipeline finanzieren, sondern selbst direkt Anteile an den Bau- und Betreibergesellschaften besitzt. Ein unhaltbarer Umstand!
Festgefahren
Es stellt sich die Frage, warum bisher keine zufriedenstellende Lösung für die Investitionspolitik des Luxemburger Pensionsfonds gefunden wurde. Natürlich ist es unsinnig, die Pensionsreserven einfach nur auf einem Bankkonto dahinsiechen zu lassen. Doch warum sollen Pensionsreserven nicht sinnvoll in den Wohnungsbau, den Ausbau erneuerbare Energien oder die Schaffung von Arbeitsplätzen in der Region investiert werden, statt in zweifelhafte Aktien und Obligationen an der Börse?
Der Verwaltungsrat des Fonds betont immer wieder, dass er nicht dazu befugt sei, eigenständig die Investitionspolitik des Fonds zu ändern. Dazu bedürfe es nämlich einer klaren Entscheidung der Regierung oder gar einer Gesetzesänderung. Dem muss man allerdings entgegenhalten, dass der Beschluss von 2011, nicht mehr in Gesellschaften und Betriebe zu investieren, die gegen anerkannte soziale und ökologische Standards verstoßen, zwar von der Regierung in die Wege geleitet, in letzter Instanz aber vom Verwaltungsrat des Fonds selbst getragen wurde. Wieso sollte es dem Verwaltungsrat jetzt nicht möglich sein, weitere umwelt- und klimaschädliche sowie menschenrechtsverletzende Investitionen durch den Fonds zu unterbinden? Oder weiß sich der Verwaltungsrat nicht gegen die Investitionspraxis der Verwalter und Berater aus den Chefetagen der Finanzindustrie zu wehren?
Die Regierung ihrerseits hat bisher ebenfalls darauf verzichtet, eine andere Investitionspolitik für den öffentlichen Pensionsfonds in die Wege zu leiten. Stattdessen hat sie hat bereits mehrmals eine Orientierungsdebatte über die Investitionspolitik in der Abgeordnetenkammer des Fonds versprochen. Diese Debatte sollte zusammen mit den NGOs geführt werden, die im Bereich der Entwicklungshilfe, der Menschenrechte oder des Umwelt- und Klimaschutz tätig sind. Doch bisher blieb dies ein leeres Versprechen. Ist der Druck der Finanzlobby, weiterhin über die inzwischen auf über 16 Milliarden Euro angewachsene Reserve des Luxemburger öffentlichen Pensionsfonds verfügen zu können, derart groß, dass Regierung und Parlamentsmehrheit davor kapitulieren? Die Praxis, die darin besteht, 2.000-2500 Unternehmen – darunter auch höchst schädlichen Gesellschaften – riesige Mengen an flüssigem Kapital aus den Pensionsreserven zur Verfügung zu stellen, läuft derweil einfach weiter.
Wegschauen nicht mehr akzeptabel
Dass dies nicht so weitergehen kann, wollen wir an drei weiteren Beispielen illustrieren. ([10])
Die Anglo American plc macht sich schwerster Vergehen an der Bevölkerung in Kolumbien schuldig und wurde von der brasilianischen Umweltverwaltung zu einer Strafzahlung von 10 Millionen Dollar verurteilt. Des weiteren gab es Klagen wegen der Verletzung von Umweltauflagen aus Chile und wegen der Verletzung elementarer Sicherheitsbestimmungen für Bergarbeiter aus Südafrika. Trotzdem wird dieses Unternehmen weiterhin vom öffentlichen Pensionsfonds Luxemburgs unterstützt.
Die Golden Agri-Ressources Ltd. (Agroindustrie, Produktion von Palmöl) ist wegen Land Grabbing, Menschenrechtsverletzungen, Wasserverschmutzung und Zerstörung heiliger Stätten in Liberia angeklagt. Der norwegische Pensionsfonds hat Investitionen in dieses Unternehmen wegen nicht nachhaltigen Wirtschaftens und massiver Zerstörung von Wäldern in Indonesien und Malaysia ausgeschlossen – der Luxemburger Pensionsfonds investiert weiter in dieses Unternehmen.
Die Textilfirma VF Corporation ist in Indien angeklagt, Sicherheitsregeln und Arbeitsrecht wiederholt verletzt zu haben. In Kambodscha ist sie wegen Verletzung gewerkschaftlicher Rechte, in Bangladesch wegen Verletzung der Sicherheitsregeln und Kinderarbeit angeklagt…und wird dennoch weiterhin vom hiesigen Fonds de compensation unterstützt.
Der Investitionspolitik des Fonds ist voller Widersprüche. Während einige Gesellschaften und Firmen, die ein umweltschädliches oder menschenrechtsverachtendes Verhalten an den Tag legen, berechtigterweise auf der schwarzen Liste stehen, finden sich andere nicht darauf wieder, obwohl sie sich ebenso verhalten und Gelder vom Fonds erhalten.
So ist beispielsweise der Erdölmulti BP – zu Recht – von Investitionen ausgeschlossen, während der Fonds aber im Besitz von Aktien der nicht weniger umweltschädlichen Royal Dutch Shell plc ist! Die Minengesellschaft Barrick Gold Corp steht wegen umweltschädlichen Aktivitäten schon länger auf der schwarzen Liste, während der Fonds jahrelang Aktien an der nicht minder umweltfeindlichen Minengesellschaft Vale besaß, die wiederum erst letztes Jahr auf der schwarzen Liste landete. Die Immobiliengruppe AR GROUP, die Siedlungen auf den von Israel besetzten palästinensischen Territorien baut ist von Investitionen ausgeschlossen, während die Sicherheitsfirma G4S, die für Israel Checkpoints und palästinensische Gefangene überwacht, wiederum vom Fonds unterstützt wird. Genau wie die Recyclingfirma Veolia oder die Telekommunikationsgesellschaft Bezeq, die für die israelischen Besatzer arbeiten.
Kriterien liegen auf der Hand
Natürlich haben die hiesigen NGOs nicht die Möglichkeit, alle 2.000-2.500 Unternehmen, die vom Fonds de compensation unterstützt werden, zu durchleuchten. Dafür hat die NGO Facing Finance aus Berlin – mit Unterstützung zahlreicher internationaler NGOs – in einer umfassenden Studie, die jährlich aktualisiert wird, zuletzt 14 multinationale Konzerne aufgelistet, die gegen international anerkannte Menschenrechts-, Arbeitsrechts- und Umweltschutzstandards verstoßen. Von diesen befinden sich allerdings lediglich 3 auf der schwarzen Liste des hiesigen Fonds, der in 10 davon Pensionsgelder investiert! ([11])
So wie zur Zeit darf es jedenfalls nicht weiter gehen. Sogar dringende Korrekturen an der Investitionspolitik brauchen viel zu lange, bis sie umgesetzt werden. Eine der Ursachen davon liegt im Verwaltungssystem des Fonds. Bisher war es nicht einmal möglich, Investitionen auszuschließen, die sich im Widerspruch zum Klimaabkommen von Paris – dem das Luxemburger Parlament am 11. Oktober 2016 einstimmig zugestimmt hat – befinden. Die schwarze Liste, auf der sich aktuell 69 Firmen und Gesellschaften wiederfinden – zuletzt ist aufgrund des Dieselskandals noch VW hinzugekommen – wird nie aktuell genug sein, um umwelt- und menschenschädliche Investitionen zu verhindern. Und zweifelhafte Gesellschaften und Betriebe, die auf der grauen Liste landen, werden viel zu lange, manchmal jahrelang, „angehalten“, ihre Investitionspolitik zu ändern; in der Zwischenzeit werden aber weiterhin Investitionen in diese Gesellschaften getätigt, statt dass sie sofort gestoppt werden.
Positivlisten notwendig
Das Grundproblem ist das Führen von Negativlisten, seien sie schwarz oder grau. Diese Listen werden niemals aktuell sein und der Realität stets hinterherhinken. Skandale und das Aufdecken kritikwürdiger Investitionen sind vorprogrammiert. Um derartige Fehlinvestitionen zu verhindern, müsste auf eine Positivliste umgeschaltet werden: eine Liste also, auf der nur die Investitionen – beispielsweise in den Bereichen erneuerbare Energien, Wohnungsbau und Solidarwirtschaft – aufgeführt werden, die Sinn machen und vertretbar sind. Eine solche Liste könnte gemeinsam mit den betreffenden NGOs aufgestellt und aktualisiert werden. Bisher stößt diese Idee jedoch auf den Widerstand der Finanzlobby. Für diese sind die kurzfristigen Profitinteressen der Finanzindustrie einfach wichtiger als eine Investitionspolitik, die nach ökologischen, sozialen und Nachhaltigkeits-Kriterien gestaltet ist!
Schließlich sollte man noch bedenken, dass die nächste Finanzkrise bereits auf uns zukommt. Wann genau sie ausbrechen wird und wie sie verlaufen wird, ist derzeit noch unklar, fest steht jedoch, dass ein weiterer heftiger Finanzcrash kommen wird und Aktien und Obligationen dabei enorm an Wert verlieren dürften. Ist diese Aussicht vereinbar mit einer „nachhaltigen“ Verwaltung der öffentlichen Pensionsreserven? Mit Sicherheit nicht. Bereits beim Finanzkrach von 2008-2009 hat der öffentliche Pensionsfonds hohe Verluste erlitten, die nur längerfristig wieder wettgemacht werden konnten. Als die chinesischen Börsen im Sommer 2015 abstürzten, kam es ebenfalls zu erheblichen Verlusten beim Fonds, die nur durch die breite Streuung der Anlagen kompensiert, jedoch nicht verhindert werden konnten. Und beim kommenden Crash wird es wohl wieder heißen: Abwarten und die Verluste durch langfristige Investitionen aussitzen!?
Eine Umorientierung der Investitionspolitik, weg von Spekulation und Börse, hin zu nachhaltigen Investitionen in erneuerbare Energien, Wohnungsbau, Solidarwirtschaft und ähnliches wäre sicherlich nicht nur im Interesse von Mensch und Umwelt, sondern auch weitaus weniger riskant für die Pensionsreserven, die nicht den Spekulanten, sondern mehreren Hunderttausend beitragszahlenden Mitgliedern der öffentlichen Pensionskasse gehören.
Justin Turpel, 9. März 2017
Eine gekürzte Fassung dies Artikels befindet sich auf Woxx.lu und in der Woxx vom 10. März 2017
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